Entscheidungsstichwort (Thema)
Teilhaberecht. Persönliches Budget. Erforderlichkeit einer Zielvereinbarung. Verdrängung von § 53 Abs 2 SGB 10. kein unmittelbarer Individualanspruch aus Art 19 UNBehRÜbk
Orientierungssatz
1. § 29 Abs 4 SGB 9 2018 stellt eine bereichsspezifische Sondervorschrift dar, welche § 53 Abs 2 SGB 10 verdrängt.
2. Ein abweichendes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (juris: UNBehRÜbk), denn die maßgebliche Norm (Art 19) ist nicht so hinreichend bestimmt, dass aus ihr ein unmittelbarer Individualanspruch auf Bewilligung eines Persönlichen Budgets abgeleitet werden könnte (vgl hierzu LSG Essen vom 22.6.2017 - L 9 SO 474/12).
Leitsatz (amtlich)
Seit der Verankerung der Zielvereinbarung in § 29 Abs 4 S 1 SGB IX (1.1.2018) hat deren Abschluss für den Anspruch auf Bewilligung eines Persönlichen Budgets eine materielle Bedeutung. Die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 28.1.2021 - B 8 SO 9/19 R = BSGE 131, 246 = SozR 4-3500 § 57 Nr 1), wonach der Abschluss einer Zielvereinbarung für die Bewilligung eines Persönlichen Budgets nur eine formelle Bedeutung hatte, steht dem nicht entgegen. Denn seinerzeit ergab sich die Notwendigkeit einer Zielvereinbarung nur aus der Budgetverordnung (juris: BudgetV).
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen (Teil 2 des Sozialgesetzbuchs IX - SGB IX) um die Beantwortung der Frage, ob der Kläger neben bzw. im Rahmen eines Persönlichen-Budgets (höhere) Leistungen zur häuslichen Pflege (Pflegegeld, häusliche Pflegehilfe - §§ 64a und 64b Sozialgesetzbuch - SGB XII) beanspruchen kann.
II.
Der am 1.10.1960 geborene - somit heute 63jährige - Klägerin ist aufgrund einer Contergan-Schädigung zu 100% schwerbehindert (mit den Merkzeichen B, G, aG, H und RF) und bezieht Leistungen der Gesetzlichen Pflegeversicherung nach dem Sozialgesetzbuch SGB XI - SGB XI) in Pflegegrad 4. Zusätzlich erhält er Leistungen auf Basis des Conterganstiftungsgesetzes (ContStiftG), eine schmale Rente und ergänzende Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII.
III.
Der Kläger war ursprünglich in Metzingen wohnhaft und meldete sich zum 10.3.2021 in Heidelberg (unter der Anschrift seines Bekannten bzw. Freundes Herr ...), an. Herr ..., welcher seit 2016 Inhaber einer Generalvollmacht ist, wandte sich mit Schreiben vom 23.3.2021 an die Beklagte und beantragte für den Kläger die Bewilligung eines trägerübergreifenden Persönlichen-Budgets. Der Kläger stehe unter starker, teils betäubender Medikation und sei psychisch stark beeinträchtigt. Dies könne nur er „als Vertrauensperson“ leisten, so dass er den Kläger zu sich ins Haus geholt habe. Alles andere sei „nicht leistbar“. Nach langwierigen Klinikaufenthalten (Covid-19-Infektion) musste der Kläger aber wieder zurück nach Metzingen, sodass das Verwaltungsverfahren nicht fortgesetzt wurde.
IV.
Mit Schreiben vom 23.3.2022 wandte sich der Kläger erneut an die Beklagte und beantragte wiederum ein trägerübergreifendes Persönliches-Budget: Er wohne nun endgültig in Heidelberg im Haushalt von Herrn .... Er sei auf eine 24-Stunden-Hilfe angewiesen, denn er leide nicht nur an den körperlichen Folgen der Contergan-Schädigung und einem Post-Covid-Syndrom, sondern sei auch psychisch erkrankt. Er habe das Glück, von Herrn ... aufgenommen worden zu sein und könne mit „seiner Hilfe ein Leben im Familienverband führen“. Wenn dies nicht möglich gewesen wäre, hätte er ins Pflegeheim gehen müssen. Herr ... habe seinen Beruf (Heil- bzw. Sozialpädagoge) aufgeben müssen. Er habe ihn deshalb „als persönliche Assistenz eingestellt“.
Am 8.8.2022 erfolgte auf dem beklagten Eingliederungshilfeamt eine persönliche Unterredung mit dem Kläger und Herrn ...: Der Kläger habe zum 1.3.2022 mit Herrn ... einen Arbeitsvertrag über einen Bruttolohn von etwa 4.500 € (39,5 Stunden-Woche) abgeschlossen. Die restliche Zeit, in welcher sich Herr ... um den Kläger kümmere, sei „eine private Angelegenheit als Freund/Bekannter“.
Nach Untätigkeitsklage zum Sozialgericht Mannheim vom 27.9.2022 ( S 8 SO 1879/22- Gerichtsbescheid vom 30.1.2023) bewilligte die Beklagte dem Kläger mitBescheid vom 7.12.2022 im Rahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen für die Zeit ab dem 1.3.2022 ein Persönliches-Budget von monatlich 1.464,00 €. Die vom Kläger daneben zusätzlich geltend gemachten Leistungen zur Pflege ( §§ 64a und 64b SGB XII in Verbindung mit § 103 Abs. 2 SGB IX) würden abgelehnt. Die im Rahmen der Gesamt- bzw. Teilhabeplanung vorbereitete (aber vom Kläger nicht unterzeichnete) Zielvereinbarung 31.10.2022 sei Bestandteil dieses Bescheides. Die Ablehnung der streitgegenständlichen Leistungen zur Pflege begründete die Beklagte wie folgt: Ein neben den Assistenzleistungen bestehender Bedarf an häuslicher Pflege könne entweder als Sachleistung durch eine häusliche Pflegehilfe gedeckt werden ( § 64b SGB XII). ...