Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Krankenversicherung: Honorarabrechnung der Ärzte gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung. Honorarverteilung. Zulässigkeit der Gleichsetzung von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten mit ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Vertragsärzten und Psychologischen Psychotherapeuten. Aussetzung eines Regelleistungsvolumen wegen Neugründung einer Praxis für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin
Orientierungssatz
1. Wird in einem Honorarverteilungsvertrag zur Regelung der vertragsärztlichen Vergütung bei der Bemessung des Regelleistungsvolumens nicht zwischen den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten auf der einen Seite und den anderen ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Vertragsärzten und Psychologischen Psychotherapeuten auf der anderen Seite unterschieden und stattdessen einheitliche Fallpunktzahlen festgelegt, so verstößt die Regelung aufgrund der tatsächlichen unterschiedlichen Vergütungsvoraussetzungen in erheblichem Maße gegen das Gebot der Honorarverteilungsgerechtigkeit und ist insoweit unwirksam.
2. Die Neuniederlassung einer Facharztpraxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie- und -psychotherapie kann die Annahme eines Ausnahmefalls aus Gründen der Sicherstellung der ärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung begründen, so dass bei der Zumessung des Honorars für die Praxis eine Abweichung vom festgestellten Regelleistungsvolumen und das Herausrechnen bestimmter Leistungen (hier: probatorische Sitzung) gerechtfertigt ist.
Nachgehend
Tenor
1. Unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 25.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2007 wird die Beklagte verurteilt, die Klägerin über ihren Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
2. Die Beklagte hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine Sonderregelung für das Regelleistungsvolumen ab dem Quartal III/06.
Die Klägerin ist als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin seit 01.07.2006 zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Die Praxis gehört der Honorar(unter)gruppe B 2.25 nach dem Honorarverteilungsvertrag der Beklagten an und ist abrechnungstechnisch der Fachgruppe/Arztgruppe VfG 84-93 zugeordnet.
Die Beklagte setzte in den Quartalen III/06 bis III/07 das Honorar der Klägerin wie folgt fest:
|
Quartal |
III//06 |
IV/06 |
I/07 |
II/07 |
III/07 |
Honorarbescheid v. |
16.03.2007 |
17.04.2007 |
17.07.2007 |
17.10.2007 |
17.01.2008 |
Bruttohonorar PK + EK in € |
9.569,16 |
26.823,08 |
27.712,68 |
26.976,87 |
25.656,68 |
Fallzahl PK + EK |
42 |
48 |
53 |
48 |
53 |
|
|
|
|
|
|
Anzahl der Leistungen nach |
|
|
|
|
|
Ziff. 35130 (Bericht Kurzzeitth., 710 P.) |
10 |
9 |
-- |
-- |
-- |
Ziff. 35131 (Bericht Langzeitth., 1.420 P.) |
12 |
9 |
1 |
5 |
8 |
Ziff. 35140 (Biographische Anamnese, 1.310 P.) |
32 |
13 |
8 |
6 |
14 |
Ziff. 35141 (Zuschlag, 475 P.) |
33 |
13 |
7 |
5 |
8 |
Ziff. 35150 (Probat. Sitzung 1.495 P.) |
109 |
57 |
23 |
35 |
22 |
|
|
|
|
|
|
Regelleistungsvolumen |
|
|
|
|
|
Fallzahl |
42 |
48 |
53 |
48 |
53 |
Fallwert |
1.099,9 |
1.101,3 |
1.099,0 |
1.094,4 |
1.086,8 |
Praxisbezogenes RLV |
46.195,8 |
52.862,4 |
58.247,0 |
52.531,2 |
57.600,0 |
Abgerechnetes Honorarvolumen |
345.890,0 |
198.640 |
117.175,0 |
100.865,0 |
134.580,0 |
Überschreitung |
299.694,2 |
145.776,6 |
58.928,0 |
48.333,8 |
76.979,6 |
|
|
|
|
|
|
Ziff. 7.5 bzw. § 5 Abs. 4 HVV |
|
|
|
|
|
Referenz-Fallzahl |
14 |
20 |
14 |
48 |
14 |
Referenz-Fallwert |
26,3593 |
23,2210 |
37,0886 |
32,4800 |
26,3593 |
Aktueller Fallwert € |
64,7993 |
44,3488 |
30,4060 |
31,5854 |
31,9264 |
Kürzungsbetrag je Fall € |
36,8610 |
20,4175 |
4,0821 |
-- |
-- |
Auffüllbetrag gesamt in € |
1.548,16 |
980,04 |
57,15 |
-- |
-- |
Am 28.07.2006 beantragte die Klägerin, ihre Besonderheiten bei der Zuerkennung des Regelleistungsvolumens zu berücksichtigen. Ihr würden pro Patient ca. 1.000 Punkte zugewiesen werden. Die von ihr übernommene Praxis habe zuvor Erwachsene behandelt. Sie habe nur neue Patienten. Mit diesen müsse sie eine umfangreiche Diagnostik durchführen, um eine bestmögliche Therapie anzubieten und einen ausführlichen Bericht an den Gutachter schreiben zu können. Diese Diagnostik umfasse bei Kindern und Jugendlichen in der Regel:
- 5 probatorische Sitzungen zu je 1.450 Punkten
- 1 biographische Anamnese zu 1.310 Punkten
- 1 vertiefte Exploration zu 475 Punkten
- 1 Intelligenz- oder Leistungstest zu ca. 1.680 Punkten
- 2 Fragebogenverfahren zu je ca. 360 Punkten
- 1 Ordinationsgebühr von 500 Punkten
- 6 Ordinationsgebühren von 50 Punkten
- 1 Bericht an den Gutachter von 710 bzw. 1.420 Punkten
Insgesamt seien dies pro Patient ca. 13.000 Punkte. Würden ihr pro Patient bei einem Punktwert von 2,8 Cent lediglich 1.000 Punkte zugewiesen werden, hieße das bei 30 Patienten ein Quartalseinkommen von ca. 840,00 € bei Vollzeittätigkeit. Der Verlust für sie als junge Praxis betrage 10.080,00 €. Sie bitte daher, innerhalb der ersten Zeit ihr Regelleistungsvolumen auszusetzen.
Mit Bescheid vom 25.09.2006 wies die Beklagte den Antrag zurück. Darin führte sie aus, gemäß den ab 01.04.2005 geltenden Honorarverteil...