Entscheidungsstichwort (Thema)
Abrechnungsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung. Entbehrlichkeit des Vorverfahrens bei Klagen einer Krankenkasse gegen die Kassenärztliche Vereinigung. Abrechnungsfähigkeit erforderlicher ärztlicher Leistungen bei nachgewiesener Infektion mit dem H1N1-Virus
Leitsatz (amtlich)
1. Bei Klagen einer Krankenkasse gegen die Kassenärztliche Vereinigung auf Abrechnungsprüfung nach § 106a SGB V ist ein Vorverfahren nach § 78 Abs. 1 Nr. 3 SGG entbehrlich.
2. Die zur Abrechnung von Behandlungsfällen im Rahmen der "Schweinegrippe" bzw. Influenza A/H1N1 vom Bewertungsausschuss geschaffene GOP 88200 war nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der einschlägigen Beschlüsse nur bei nachgewiesenen Infektionen (J09 G) abrechnungsfähig. Bei Fällen, denen lediglich eine Verdachtsdiagnose (J09 V) zugrunde lag oder bei denen eine Kodierung mit J09 überhaupt nicht erfolgt ist, war ein Ansatz der Ziffer nicht möglich.
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 22.11.2010 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, über den Antrag der Klägerin vom 05.11.2010 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden und das in den Quartalen II/09 bis II/10 für Versicherte der Klägerin von den Vertragsärzten angeforderte Honorar gezielt auf die Erfüllung der Voraussetzung für die Kennzeichnung mit der GOP 88200 zu prüfen.
2. Die Beklagte trägt die Gerichtskosten sowie die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
3. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über eine Prüfung der Abrechnungen von Vertragsärzten im Hinblick auf die Abrechnung der GOP 88200 auch bei Verdacht auf eine Infektion mit der Schweinegrippe in den Quartalen II/09 bis II/10.
Mit Schreiben vom 12.04.2010 bat die Klägerin die Beklagte um die Übersendung von berichtigten Formblättern für die Quartale II und III/09 sowie um gesonderte Rechnungslegung inkl. Detailangaben der abgerechneten Leistungen im Zusammenhang mit der neuen Grippe.
Mit Schreiben vom 23.07.2010 antwortete die Beklagte, dass alle im Zusammenhang mit der neuen Influenza A/H1N1 erbrachten Leistungen im Einzelfallnachweis der Quartale II/ und III/09 entsprechend gekennzeichnet seien. In einer weiteren Stellungnahme vom 08.10.2010 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass aufgrund der klinischen Diagnose alle im Zusammenhang mit der Behandlung der Influenza A/H1N1 erbrachten ärztlichen Leistungen mit der Ziffer 88200 zu kennzeichnen und als Leistung des nicht vorhersehbaren Anstiegs des morbiditätsbedingten Behandlungsbedarfes gemäß Beschluss Teil E des Beschlusses des Erweiterten Bewertungsausschusses vom 02.09.2009 außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung berechnungsfähig seien. Dies habe sie mit Rundschreiben vom 04.12.2009 auch so an ihre Mitglieder kommuniziert. Es werde darauf hingewiesen, dass zu Beginn des Ausbruches der Schweineinfluenza noch keine ICD 10 Kodierung zur Verfügung gestanden habe. Vielmehr hätte zum damaligen Zeitpunkt nur auf die ICD 10 Kodierung der Vogelgrippe zurückgegriffen werden können.
Mit Schreiben vom 05.11.2010 forderte die Klägerin die Beklagte zu einer Prüfung und Korrektur der Abrechnungsdaten ab dem Quartal II/09 auf. Lediglich ein Bruchteil der abgerechneten Leistungen im Zusammenhang mit der Influenza A/H1N1 seien auch mit der Diagnose J09 G gekennzeichnet worden. Eine Kodierung als Verdachtsfall (J09 V) reiche für eine Abrechnungsfähigkeit der GOP 88200 nicht aus.
Mit Schreiben vom 22.11.2010 lehnte die Beklagte eine Überprüfung und Korrektur der Abrechnungsdaten ab. Sie halte an der Auffassung fest, dass auch Verdachtsfälle eine Vergütung außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung rechtmäßig sei.
Die Klägerin hat am 01.09.2011 eine Leistungsklage beziffert auf 232.432,64 € zzgl. Zinsen beim SG Frankfurt erhoben. Das SG Frankfurt hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 30.08.2011 an das erkennende Gericht verwiesen.
Die Klägerin trägt vor, dass nach dem eindeutigen Wortlaut der Durchführungsempfehlung des Bewertungsausschusses in seiner 186. Sitzung zum 01.05.2009 ausdrücklich festgelegt sei, dass die GOP 88200 nur bei nachgewiesener Infektion mit dem H1N1-Virus abgerechnet werden durfte. In den vorangehenden Absätzen seien die Regelungen für das Abrechnungsverhalten bei Verdachtsfällen geregelt. Danach sei der Schnelltest nicht über EBM abrechnungsfähig, könne aber analog 4668 GoÄ im Kostenerstattungsverfahren bei den Krankenkassen geltend gemacht werden. Dies gelte auch für die Durchführung der Labortestung. Es bestehe insofern keine Regelungslücke, die durch Auslegung in irgendeiner Form geschlossen werden müsse.
Auch dem Beschluss des Bewertungsausschusses in seiner 195. Sitzung zum 17.08.2009 sei wörtlich zu entnehmen, dass die GOP 88200 nur bei nachgewiesener H1N1-Infektion abrechnungsfähig sei. In diesem Beschluss sei allein die Finanzierung der Testverfahren geändert worden, indem zwei weitere GOPs zur extrabudgetären Finanzierung eingefügt worden seien (8874...