Entscheidungsstichwort (Thema)

Bereitschaftsdienst. keine Befreiung für Vertragsarzt wegen Tätigkeit als Belegarzt. Sicherstellung eines ausreichenden Not- und Bereitschaftsdienstes. Notfalldienstverpflichtung. Verfassungsrecht. Befreiung bei Vorliegen schwerwiegender Gründe. Teilnahmeverpflichtung als Ermessensvorschrift

 

Leitsatz (amtlich)

Eine belegärztliche Tätigkeit rechtfertigt grundsätzlich nicht die Befreiung vom vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst.

 

Orientierungssatz

1. Bei der Sicherstellung eines ausreichenden Not- und Bereitschaftsdienstes handelt es sich um eine gemeinsame Aufgabe der Vertragsärzte, die nur erfüllt werden kann, wenn alle zugelassenen Ärzte unabhängig von der Fachgruppenzugehörigkeit und sonstigen individuellen Besonderheiten und ohne Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Personen oder Gruppen gleichmäßig herangezogen werden (vgl BSG vom 18.10.1995 - 6 RKa 66/94 = USK 95124).

2. Der in der Notfalldienstverpflichtung liegende Eingriff in die Berufsfreiheit ist auch dann hinzunehmen, wenn er für den einzelnen Vertragsarzt besondere, über das übliche Maß hinausgehende Unannehmlichkeiten und Erschwernisse mit sich bringt. Erst beim Vorliegen schwerwiegender Gründe kann die Grenze der Zumutbarkeit überschritten und eine Befreiung des Betroffenen geboten sein (vgl BSG vom 18.10.1995 - 6 RKa 66/94 aaO).

3. Ausnahmen von der Teilnahmeverpflichtung können als Ermessensvorschrift ausgestaltet werden (vgl BSG vom 11.6.1986 - 6 RKa 5/85 = MedR 1987, 122).

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen. 

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Ablehnung des Antrags auf Befreiung von der Teilnahme am ärztlichen Bereitschaftsdienst insbesondere wegen der Tätigkeit als Belegarzt.

Der Kläger ist als Facharzt für Chirurgie zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Er übt seine Tätigkeit in einer Berufsausübungsgemeinschaft mit drei weiteren Fachärzten für Chirurgie aus. Der Kläger und die übrigen drei Mitglieder der Berufsausübungsgemeinschaft (Herr D., Herr Dr. E. und Herr Dr. F.) haben eine Anerkennung als Belegarzt sowohl für die Kreisklinik G-Stadt als auch die Kreisklinik H-Stadt.

Der Vorstand der Beklagten beschloss am 07.04.2009 die Zusammenlegung der ärztlichen Bereitschaftsdienstbezirke A-Stadt/J-Stadt und G-Stadt/K-Stadt zum 01.10.2009 aufgrund der bestehenden Altersstruktur der dort niedergelassenen Ärzte.

Der Kläger beantragte am 23.04.2009 die Befreiung von der Teilnahme am allgemeinen Notdienst. Zur Begründung führte er aus, er müsse am Wochenende und an Feiertagen als Belegarzt Eilfälle versorgen, also stationären Notfalldienst verrichten. Die Praxis sei seinerzeit in der Kreisklinik in H-Stadt angesiedelt gewesen und habe am Notdienst der Kassenärztlichen Vereinigung teilgenommen, da er und Kollege Dr. L, der damalige Praxispartner, sich bei der belegärztlichen Versorgung hätten abwechseln können. Im August 2000 sei die chirurgische Gemeinschaftspraxis mit Hauptsitz in G-Stadt und Nebensitz in H-Stadt gegründet worden. Der allgemein- und unfallchirurgisch tätige Kollege Dr. L. sei seit Januar 2009 nicht mehr in der Praxis. Die Praxis sei an zwei Krankenhäusern belegärztlich tätig und müsse in jedem Krankenhaus rund um die Uhr die Versorgung gewährleisten. Aufgrund der Assistenzarztmangelsituation sei sie gezwungen, auch noch nicht zu besetzende Anwesenheitsdienste im Krankenhaus über 24 Stunden zu leisten. Zusätzlich habe die Belastung der chirurgischen Ambulanz in der Kreisklinik G-Stadt nach der Neuregelung der Bereitschaftsdienstsituation G-Stadt/M-Stadt/B-Stadt deutlich zugenommen. Insgesamt sei also die Arbeitsbelastung für die Chirurgen erheblich gestiegen.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 27.08.2009 ab, da der Kläger nicht alleine als Belegarzt tätig sei.

Hiergegen legte der Kläger am 22.09.2009 Widerspruch ein. Er trug vor, er sei seit Januar allein und ständig diensthabender Chirurg in der Kreisklinik H-Stadt in einer Abteilung ohne Hauptabteilung. Sein Praxiskollege Dr. N. sei seit Januar erkrankt. Sein bereits ausgeschriebener KV-Sitz sei nicht erneut besetzt worden. Der Obmann des Notdienstbezirks A-Stadt/J-Stadt habe in diesem Jahr deshalb darauf verzichtet, ihn zum KV-Notdienst einzuteilen. Er müsse bereits über 24 Stunden an sieben Wochentagen dienstbereit die Patienten versorgen, die u. a. vom KV-Notdienst in die chirurgische Ambulanz als Notfall überwiesen würden. Er halte damit einen ständigen fachgebundenen Notdienst vor. Seine Kollegen täten dies im Krankenhaus G-Stadt, so dass sie ihm nicht helfen könnten.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 13.01.2010 den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, ein ausdrücklich in § 3 Abs. 2 a bis d der Notdienstordnung aufgeführter Befreiungsgrund liege nicht vor. Nach Buchstabe e könne ein Vertragsarzt befreit werden, wenn er im Einzelfall schwerwiegende Gründe darlege, aufgrund deren eine ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge