Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsarzt. Freistellung von der Teilnahme am organisierten Notfallvertretungsdienst. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Satzungsbestimmung, nach der eine Freistellung vom Notfallvertretungsdienst voraussetzt, dass zu gesundheitlichen Gründen oder einer körperlichen Behinderung kumulativ eine nachteilige Auswirkung der gesundheitlichen Verhältnisse auf die allgemeine berufliche Tätigkeit des Vertragsarztes hinzukommen muss, ist rechtmäßig (vgl BSG vom 11.6.1986 - 6 RKa 5/85 = MedR 1987, 122). Eine Satzungsbestimmung kann damit vorsehen, dass gesundheitliche Gründe, selbst wenn sie zur Ungeeignetheit der Versehung des Notfallvertretungsdienstes führen, nicht ausreichend sind, einen Befreiungstatbestand zu begründen (entgegen VGH Mannheim vom 3.11.1998 - 9 S 3399/96 = MedR 1999, 228 und LSG Essen vom 8.12.2004 - L 10 KA 5/04; s bereits SG Marburg vom 18.1.2006 - S 12 KA 49/05 - juris Rdnr 30).

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beklagten und die Gerichtskosten.

3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Befreiung von der Verpflichtung der Klägerin zur Teilnahme am organisierten Notdienst der Beklagten.

Die 1952 geb. Klägerin ist als Ärztin mit Praxissitz in A-Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie gehört seit 1995 zur Gruppe der ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzte.

Mit Schreiben vom 16.01.2012 beantragte die Klägerin die Befreiung vom allgemeinen medizinischen Notfalldienst. Sie legte zwei Arztbriefe des Prof. Dr. med. A1, Direktor der Abteilung Kardiologie und Pneumologie des Zentrums Innere Medizin der Universitätskliniken YC. vom 17.02.2012 vor und wies auf ein bei ihr bestehendes ausgeprägtes kardiovaskuläres Risikoprofil sowie einen allgemeinen Erschöpfungszustand hin. Am 27.02.2012 sei ein künstliches Hüftgelenk rechts eingesetzt worden. Im vorläufigen Arztbrief vom 17.02.2012 werde auch aufgrund ihrer Vorerkrankung dringend eine Befreiung vom kassenärztlichen Notdienst empfohlen.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 10.04.2012 eine Befreiung vom kollegialen Bereitschaftsdienst aus gesundheitlichen Gründen ab. Anhand der Fallzahlentwicklung sei zu erkennen, dass die Erkrankung der Klägerin keinerlei Auswirkung auf die tägliche Praxis zeige. Eine Verminderung der Leistungsfähigkeit könne daher nicht erkannt werden.

Hiergegen legte die Klägerin am 22.12.2004 Widerspruch ein. Sie trug vor, es gehe um den zusätzlichen Hintergrundbereitschaftsdienst. Sie sei ausschließlich psychotherapeutisch in Form von Gesprächstherapie tätig. Sie sei weder fachlich geeignet noch könne sie für eine geeignete Vertretung für den allgemeinen hausärztlichen Gemeinschaftsdienst sorgen. Eine Heranziehung bedeute auch eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber den niedergelassenen psychologischen Psychotherapeuten. Es lägen jedenfalls die Gründe für eine Befreiung gem. § 3 Abs. 2 der Notdienstordnung vor. Im Rahmen einer Ermessensentscheidung über die Befreiung sei zu unterscheiden zwischen dem allgemeinen Bereitschaftsdienst und dem zusätzlichen hausärztlichen Bereitschaftsdienst. Eine solche Unterscheidung habe nicht stattgefunden. § 26 der hessischen Berufsordnung lasse es für eine Befreiung ausreichen, wenn der Arzt wegen einer körperlichen Behinderung zum Notfalldienst nicht in der Lage sei. Wesentliche Auswirkungen auf die sonstige tägliche vertragsärztliche Tätigkeit seien hierfür nicht erforderlich. Sie habe ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen unter Vorlage von ärztlichen Bescheinigungen bereits konkretisiert. Bei ihr bestünden schmerzhafte Funktionsstörungen u.a. in beiden Hüftgelenken, beiden Handgelenken, beiden Kniegelenken, im rechten Fuß und im Bereich der Halswirbelsäule etc. Herr Dr. med. A2, leitender Oberarzt der orthopädischen Abteilung, habe ihr deutliche Einschränkungen bezüglich der körperlichen Leistungsfähigkeit des Hebens und Tragens, des Überkopfarbeitens, der Greiffunktion beider Hände, des Arbeitens in kniender oder gebückter Körpersituation sowie des Arbeitens in sonstigen wirbelsäulenbelastenden Zwangshaltungen bescheinigt. Hinzu kämen die dort genannten internistischen Erkrankungen, auf Grund derer Stressbelastungssituationen vermieden werden sollten. Auf Grund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen sei sie faktisch nicht mehr in der Lage, am Notdienst teilzunehmen. Ihre Fallzahlen beruhten ausschließlich auf der geleisteten Gesprächstherapie sowie auf den vom bezahlten Vertreter im Rahmen des allgemeinen Notdienstes geleisteten Behandlungen. Die Therapietätigkeit könne nicht mit der Tätigkeit im Rahmen des Notdienstes verglichen werden. Die Argumentation der Beklagten bedeute, dass sie, solange sie noch ihren Kopf gebrauchen könne, am Notdienst teilnehmen müsse. Hier seien die Grenzen des Ermessens überschritten worden. Es komme hinzu, dass ihre Praxis seit Mitte Februar 2012 durchgängig auf Grund der...

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