Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Befreiung vom Notdienst. Vorliegen besonderer Gründe

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, die zur Gruppe der ausschließlich, dh über 90 %, psychotherapeutisch tätigen Ärzten gehört und die an einer Innenohrschwerhörigkeit leidet, die es ihr nach eigenem Vorbringen unmöglich macht, einen auskultatorischen Befund zu erheben, muss nach § 3 Abs 6 Bereitschaftsdienstordnung der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen (juris: BerDV HE) nicht vom Notdienst befreit werden, wenn fachgruppendurchschnittliche Umsätze erzielt werden.

 

Orientierungssatz

1. Der in der Notfalldienstverpflichtung liegende Eingriff in die Berufsfreiheit ist auch dann hinzunehmen, wenn er für den einzelnen Vertragsarzt besondere, über das übliche Maß hinausgehende Unannehmlichkeiten und Erschwernisse mit sich bringt. Erst beim Vorliegen schwerwiegender Gründe kann die Grenze der Zumutbarkeit überschritten und eine Befreiung des Betroffenen geboten sein (vgl BSG vom 18.10.1995 - 6 RKa 66/94 = USK 95124 juris RdNr 15).

2. Eine vollständige (ersatzlose) Befreiung kommt unter dem Gesichtspunkt gleichmäßiger Belastung nur unter zusätzlichen Voraussetzungen in Frage, wenn nämlich gesundheitliche oder vergleichbare Belastungen zu einer deutlichen Einschränkung der Praxistätigkeit des Arztes führen und ihm zudem aufgrund geringer Einkünfte aus der ärztlichen Tätigkeit nicht mehr zugemutet werden kann, den Notfalldienst auf eigene Kosten durch einen Vertreter wahrnehmen zu lassen (vgl BSG vom 11.6.1986 - 6 RKa 5/85 = USK 8665.

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beklagten und die Gerichtskosten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Befreiung aus gesundheitlichen Gründen vom ärztlichen Bereitschaftsdienst A-Stadt bzw. jetzt ärztlichen Bereitschaftsdienst UV., in dem der ärztliche Bereitschaftsdienst A-Stadt zum 01.04.2014 aufgegangen ist.

Die Klägerin ist als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie mit Praxissitz in A-Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie gehört zur Gruppe der ausschließlich, d. h. über 90 %, psychotherapeutisch tätigen Ärzten.

Die Klägerin beantragte am 26.11.2012 die Befreiung vom ärztlichen Bereitschaftsdienst A-Stadt. Sie trug vor, sie leide seit Jahren an einer Innenohrschwerhörigkeit, die einen progredienten Verlauf habe. Diese Erkrankung mache es ihr unmöglich, einen auskultatorischen Befund zu erheben, was bei der Durchführung der notärztlichen Tätigkeit unerlässlich sei. Ein fachärztliches Attest von Herrn Dr. FT. füge sie bei.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 22.02.2013 den Antrag auf Befreiung ab. Zur Begründung führte sie aus, für die Erkrankung der Klägerin gebe es medizinische Hilfsmittel, z.B. ein Stethoskop für Schwerhörige, die Ihr die Befundung erleichtern würden.

Hiergegen legte die Klägerin am 08.03.2013 Widerspruch ein. Sie wies nochmals auf ihre Innenohrschwerhörigkeit hin, die einem progredienten Verlauf aufweise und es ihr unmöglich mache, im Rahmen einer Inanspruchnahme im Bereitschaftsdienst einen ordnungsgemäßen auskultatorischen Befund zu erheben. Der Ablehnung fehle es an einer hinreichenden Begründung. Sie habe einen subjektiv-rechtlichen Anspruch auf Befreiung nach § 3 Abs. 2 der Notdienstordnung i. V. m. § 26 Abs. 1 der Berufsordnung für Ärztinnen und Ärzte in Hessen. Danach sei ein Vertragsarzt insbesondere dann von einer grundsätzlichen Verpflichtung zur Teilnahme am allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienst zur befreien, wenn er hierzu aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sei. Bestimmte wichtige Frequenzbereiche, die für eine ordnungsgemäße Untersuchung notwendig seien, könne sie nicht hören. Dies könne auch durch technische Hilfsmittel nicht ausgeglichen werden.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 24.07.2013 den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, nach § 3 Abs. 2 ihrer Notdienstordnung setze eine Befreiung aus gesundheitlichen Gründen weiter voraus, dass diese wesentliche Auswirkungen auf die sonstige tägliche vertragsärztliche Tätigkeit habe. Eine derartige gesundheitliche Minderleistungsfähigkeit müsse zwingen kumulativ zu den vorliegenden gesundheitlichen Gründen hinzukommen, um eine Befreiungstatbestands zu begründen. Die gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin hätten jedoch keine wesentlichen Auswirkungen auf ihre sonstige vertragsärztliche Tätigkeit. Ihre Fallzahl stelle sich in den letzten Jahren wie folgt dar:

Quartal

Fallzahl der Klägerin

(PK+EK+sonstige)

III/10

37

IV10

39

I//11

37

II/11

44

III/11

44

IV/11

37

I/12

39

II/12

48

III/12

37

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts könne die Freistellung zusätzlich von beruflichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Arztes abhängig gemacht werden. Der Klägerin sei es insofern zumutbar, einen geeigneten Vertreter auf eigene Kosten zu beauftragen, der die Dienste übernehme.

Hiergegen hat die Klägerin am 1...

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