Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsarzt. Freistellung von der Teilnahme am organisierten Notfallvertretungsdienst
Leitsatz (amtlich)
Eine Satzungsbestimmung, nach der eine Freistellung vom Notfallvertretungsdienst voraussetzt, dass zu gesundheitlichen Gründen oder einer körperlichen Behinderung kumulativ eine nachteilige Auswirkung der gesundheitlichen Verhältnisse auf die allgemeine berufliche Tätigkeit des Vertragsarztes hinzukommen muss, ist rechtmäßig (vgl BSG vom 11.6.1986 - 6 RKa 5/85 = MedR 1987, 122). Eine Satzungsbestimmung kann damit vorsehen, dass gesundheitliche Gründe, selbst wenn sie zur Ungeeignetheit der Versehung des Notfallvertretungsdienstes führen, nicht ausreichend ist, einen Befreiungstatbestand zu begründen (entgegen VGH Mannheim vom 3.11.1998 - 9 S 3399/96 = MedR 1999, 228 und LSG Essen vom 8.12.2004 - L 10 KA 5/04).
Orientierungssatz
Der in der Notfalldienstverpflichtung liegende Eingriff in die Berufsfreiheit ist auch dann hinzunehmen, wenn er für den einzelnen Vertragsarzt besondere, über das übliche Maß hinausgehende Unannehmlichkeiten und Erschwernisse mit sich bringt. Erst beim Vorliegen schwerwiegender Gründe, kann die Grenze der Zumutbarkeit überschritten und eine Befreiung des Betroffenen geboten sein (vgl BSG vom 18.10.1995 - 6 RKa 66/94 = USK 95124).
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beklagten und die Gerichtskosten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung der Klägerin zur Teilnahme am organisierten Notdienst der Beklagten.
Die 1960 geb. Klägerin ist als Frauenärztin mit Praxissitz in seit 01.10.1995 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.
Am 07.10.2004 beantragte die Klägerin die Befreiung vom allgemeinen medizinischen Notfalldienst. Sie legte ein HNO-fachärztliches Attest des Dr. S mit Datum vom 20.09.2004 vor und trug vor, aus gesundheitlichen Gründen sei bei ihrer bestehenden, fortschreitenden Schwerhörigkeit beidseits (Otosklerose) bei Zustand nach beidseitiger Ohroperation eine auskultatorische Befunderhebung im allgemeinmedizinischen Notfalldienst nicht mehr gewährleistet, die gerade dort in Hinsicht auf eine sichere Diagnoseerstellung und Durchführung von Therapiemaßnahmen bei lebensbedrohlichen Erkrankungen erforderlich sei.
Mit Bescheid vom 01.12.2004 lehnte die Bezirksstelle Kassel der Beklagten eine Befreiung von der Teilnahme am organisierten allgemeinen Notdienst ab. Gesundheitliche Gründe, die wesentliche Auswirkungen auf die sonstige tägliche vertragsärztliche Tätigkeit hätten, seien ausweislich der in den letzten Quartalen erzielten Honorarumsätze nicht ersichtlich. Auch könne mit dem Einsatz eines Hörgeräts möglicherweise eine deutliche Verbesserung des Hörvermögens erreicht werden. Auch in ihr ihrer täglichen Praxis müsse die Klägerin auskultatorische Befunderhebungen bis hin zum Abhören der kindlichen Herzgeräusche bewältigen. Dass diese Aufgaben dann im allgemeinen Notdienst nicht bewerkstelligt werden könnten, sei nicht nachvollziehbar gewesen. Unabhängig davon stehe es der Klägerin frei, sich auf eigene Kosten vertreten zu lassen.
Hiergegen legte die Klägerin am 22.12.2004 Widerspruch ein. Sie trug vor, bereits bei ihrer Niederlassung habe eine leichte Hörminderung rechts vorgelegen, die keinem Krankheitsbild habe zugeordnet werden können. Aus privaten Gründen, sie sei damals allein erziehende Mutter eines eineinhalbjährigen Kindes gewesen, habe sie sich seit Beginn ihrer Tätigkeit für den Notfalldienst vertreten lassen. Im Frühjahr 1998 habe sich ihr Hörvermögen rechts dermaßen verschlechtert und es sei die Diagnose der Otosklerose gestellt worden. Sie sei deshalb im August 1998 operiert worden und habe eine Stapesplastik rechts erhalten. Mit zunehmender Schwerhörigkeit habe sie ihre Praxis auf ihre gesundheitlichen Gegebenheiten abgestimmt im Sinne optischer und visueller Signale. Eine auskultatorische Befunderhebung gehöre seit vielen Jahren nicht mehr zu ihrer fachspezifischen, rein gynäkologischen Tätigkeit. Patientinnen mit allgemeinmedizinischen Nebenerkrankungen würden verwiesen werden. Allmählich habe sich auch das linksseitige Hörvermögen verschlechtert. Im Juli 2001 sei sie auch linksseitig mit einer Stapesplastik versorgt worden. Sie habe seit dieser Zeit auf beiden Ohren ständig pfeifende Ohrgeräusche (Tinnitus), die in der Stärke abhängig seien von vegetativ und stressbedingten Belastungen. Ihr bis dahin langjähriger Notdienstvertreter habe aus persönlichen Gründen im Juli 2004 seine Tätigkeit eingestellt. Sie habe versucht, auskultatorische Befunderhebungen vorzunehmen, was aber wegen der Überlagerung der starken Ohrgeräusche nicht möglich gewesen sei. Zwei Kollegen hätten sich freundlicherweise bereiterklärt, sie vorübergehend zu vertreten. Ihrer Hörvermögen habe sich weiter verschlechtert. Das Ausscheiden eines ortsansässigen Fachkollegen habe zu einer permanenten Überlastung ihrerseits geführt. Sie sei aus gesundheitlichen Gründen nicht in de...