Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Arzneimittelversorgung. Antrag auf Kostenerstattung von Medizinal-Cannabisblüten. Voraussetzung einer vertragsärztlichen Verordnung und einer begründeten ärztlichen Einschätzung. kein eigenständiger Naturalleistungsanspruch aufgrund Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a S 6 SGB 5

 

Leitsatz (amtlich)

Die Genehmigung einer Versorgung mit Cannabis-Arzneimitteln setzt neben einer vertragsärztlichen Verordnung auch eine begründete ärztliche Einschätzung voraus. Der Vertragsarzt muss den Abwägungsprozess erkennen lassen und darlegen, dass andere Behandlungsansätze erfolglos erprobt worden sind. Es reicht nicht aus, eine Therapieresistenz und Unverträglichkeiten bezüglich der Standardtherapien lediglich pauschal festzustellen, ohne diese Befunde zu belegen und zu begründen.

 

Orientierungssatz

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung begründet eine fingierte Genehmigung nach dem Leistungsrecht (§ 13 Abs 3a S 6 SGB 5) keinen eigenständigen Naturalleistungsanspruch, sondern bei Ablauf der in § 13 Abs 3a SGB 5 genannten Fristen nur ein Recht auf Selbstbeschaffung mit Anspruch auf Erstattung der Beschaffungskosten (vgl BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 9/18 R = SozR 4-2500 § 13 Nr 53).

 

Tenor

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

II. Die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Streitig ist, ob der Antragsteller im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes einen Anspruch auf Kostenerstattung von Medizinal-Cannabisblüten für die Vergangenheit sowie auf künftige Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten von monatlich 40 Gramm der Sorte Bedrocan hat.

Der 1984 geborene Antragssteller ist bei der Antragsgegnerin krankenversichert. Das Zentrum Bayern Familie und Soziales hat eine Schwerbehinderung mit einem GdB von 50 festgestellt. Mit dem Ambulanzbrief vom 23.11.2016 stellte das Klinikum C. eine Arachnoidalzyste ohne neurochirurgischen Handlungsbedarf fest.

Für den Antragssteller beantragte Dr. D. mit Schreiben vom 25.04.2017, das bei der Antragsgegnerin am 13.07.2018 eingegangen ist, die Versorgung mit Medizinal- Cannabisblüten. Mit dem Bescheid vom 08.08.2018 lehnte Antragsgegnerin diesen Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, dass vor der Inanspruchnahme von Cannabis eine Bewilligung der Krankenkasse erforderlich sei, diese liege jedoch nicht vor. Mit dem Schreiben vom 12.12.2019 verlangte der Antragssteller erneut die Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten. Zur Begründung trug er vor, dass nach dem Ablauf der dreiwöchigen Frist am 03.08.2018 die Genehmigungsfiktion eingetreten sei.

Laut der Bescheinigung von Dr. D. vom 02.01.2020 leide der Antragssteller an chronischen Kopfschmerzen und Schwindelgefühl. Daneben bestehe ein Wirbelsäulensyndrom mit BWS und LWS.

Zu Protokoll der Geschäftsstelle hat der Antragssteller am 21.07.2020 einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt, mit dem er Kostenerstattung für Medizinal- Cannabisblüten sowie die künftige Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten begehrt.

Der Antragssteller hat vier Privatverordnungen von Dr. D. über Medizinal-Cannabisblüten von jeweils 40 Gramm der Sorte Bedrocan vorgelegt. Auf Grundlage dieser Privatverordnungen hat der Antragssteller bereits die entsprechenden Medizinal-Cannabisblüten auf eigene Kosten zur Behandlung erhalten.

Der Antragssteller trägt vor, dass er an einer schweren und seltenen Erkrankung leide. Eine vertragsärztliche Verordnung sei nach der Vorschrift des § 31 Abs. 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht erforderlich. Auch aufgrund der Genehmigungsfiktion habe er einen Anspruch auf Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten. Die dreiwöchige Frist zur Entscheidung sei bereits am 03.08.2018 abgelaufen, der Ablehnungsbescheid der Antragsgegnerin sei jedoch erst am 11.08.2018 eingegangen. Bereits bestehende Genehmigungsfiktionen müssten durch einen Verwaltungsakt aufgehoben werden. Die Rücknahme sei jedoch nicht möglich, da die fiktive Leistungsbewilligung nicht von Anfang an rechtswidrig gewesen sei.

Die Antragsgegnerin trägt vor, dass eine für die Versorgung mit Cannabis notwendige vertragsärztliche Verordnung nicht vorgelegt worden sei. Zudem sei fraglich, ob alle dem medizinischen Standard entsprechenden Therapiemethoden zur Behandlung des Antragsstellers ausgeschöpft worden seien. Die Genehmigungsfiktion begründe nach der aktuellen Rechtsprechung des BSG keinen eigenständigen Leistungsanspruch. Auch hinsichtlich eines Anspruchs auf Versorgung mit Cannabis bestehe kein Anordnungsgrund, weil keine besondere Eilbedürftigkeit bestehe. Schließlich sei der Antragssteller im Verwaltungsverfahren wiederholt seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen. Auch eine Kostenerstattung für die Vergangenheit könne durch eine einstweilige Anordnung nicht erreicht werden, da insofern kein Anordnungsgrund bestehe.

Der Antragssteller beantragt sinngemäß, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten,

1. dem Antragssteller die...

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