Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Krankenversicherung. Anspruch auf Behandlungspflege. zum Anordnungsanspruch bei divergierenden Gutachten gem § 106 Abs 3 Nr 5 SGG
Leitsatz (amtlich)
Zum Anordnungsanspruch auf Behandlungspflege nach § 37 Abs 2 S 1 SGB V im einstweiligen Rechtsschutz bei divergierenden Gutachten gemäß § 106 Abs 3 Nr 5 SGG.
Nachgehend
Tenor
I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
II. Notwendige außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Streitig ist, ob der Antragsteller im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes einen
Anspruch auf häusliche Krankenpflege gemäß § 37 Abs. 2 SGB V im vertragsärztlich
verordneten Umfang von 24 Stunden pro Tag an sieben Tagen der Woche vom 1.1.2022 bis 31.12.2022 hat.
Der 1961 geborene, bei der Antragsgegnerin seit dem 1.8.2016
familienversicherte Antragsteller leidet an Tetraparese und Tetraplegie (G 82.52 GR; nicht näher bezeichnet: chronische komplette Querschnittslähmung) und Diabetes mellitus
(ICD-Code E 11.90 Typ 2: ohne Komplikationen: Nicht als entgleist bezeichnet).
Nach einer Myokarditis mit Herz-TX und intraoperativem Apoplex im Jahr 2015 ist der
Antragsteller tetraplegisch. Es persistieren neurologische Defizite: Tetraparese, Aphasie, Dysphagie. Es besteht Schwerstpflegebedürftigkeit (Pflegegrad 5) gemäß SGB XI.
Nach initialer Klinikbehandlung erfolgte die pflegerische Versorgung zunächst in einer
stationären Pflegeeinrichtung und ab September 2018 durch die Ehefrau und 24-Stunden Betreuungskräften zu Hause.
Nachdem aufgrund des Beschlusses vom 26.2.2021 (AZ: S 29 KR 104/21 ER) - gemäß der vorgelegten ärztlichen Verordnung vom 22.12.2020 - die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zur Gewährung von häuslicher Krankenpflege bis zum 31.3.2021 in Form von Behandlungspflege im Umfang von 21 Stunden 39 Minuten täglich an 7 Tagen der Woche verpflichtet wurde, schaltete diese am 19.3.2021 erneut den medizinischen Dienst (MD) mit aktuellen Befunden ein und bat um Beurteilung der Frage, ob sich aktuell neue Erkenntnisse für die beantragte Leistung des Antragstellers ergeben.
Mit Gutachten nach Aktenlage vom 22.3.2021 kam der MD zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzung für eine außerklinische Intensivpflege im beantragten Umfang nicht
vorlägen.
Nach Vorlage einer Folgeverordnung vom 23.3.2021 (für den Zeitraum 1.4.2021 bis 31.12.2021) erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 30.3.2021 einen erneuten Antrag im einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht München auf Gewährung von
häuslicher Krankenpflege in Form der Behandlungspflege im vertragsärztlich verordneten Rahmen. Mit Beschluss vom 29.4.2021 wurde die Antragsgegnerin verpflichtet, einstweilen bis zum 31.12.2021 (Ende des Verordnungszeitraums), längstens jedoch bis zum
Eintritt der Rechtskraft einer Entscheidung in der Hauptsache, dem Antragsteller
entsprechend der Verordnung vom 23.3.2021 Leistungen der häuslichen Krankenpflege in Form von Behandlungspflege im Umfang von 21 Stunden 39 Minuten täglich an sieben Tagen der Woche zu gewähren. Im Übrigen wurde der Eilantrag abgelehnt.
Mit Beweisanordnung vom 22.7.2021 wurde in den drei Hauptsacheverfahren
S 29 KR 144/21, S 29 KR 473/21 sowie S 29 KR 865/21 H1. zum gerichtlichen Sachverständigen bestellt. In seinem Gutachten vom 10.8.2021 kam H1. zum Ergebnis, dass die Verordnung der häuslichen Krankenpflege in Form der 24-stündigen speziellen Krankenbeobachtung bei Antragsteller im gesamten Zeitraum vom 12.5.2020 bis 9.8.2021 (Zeitpunkt der Begutachtung) und voraussichtlich auch bis zum 31.12.2021 keine Gesundheitsstörungen vorlägen, welche eine dauerhafte
Überwachung des Pflegebedürftigen erforderlich machen würden.
Mit Antrag vom 1.10.2021 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers den Sachverständigen H1. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen und gemäß § 412 Abs. 2 ZPO die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anzuordnen, welcher mit Beschluss vom 19.11.2021 zurückgewiesen wurde.
Daraufhin hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit Schreiben vom 30.11.2021 Beschwerde gegen den Beschluss vom 19.11.2021 erhoben und gleichzeitig unter Vorlage einer Folgeverordnung der hausärztlichen Praxis L. (Blatt acht Gerichtsakte) vom 23.3.2021 für den Zeitraum vom 1.1.2022 bis 31.12.2022 einen Antrag im einstweiligen Rechtsschutz auf Gewährung von häuslicher Krankenpflege gemäß § 37 Abs. 2 SGB V gestellt. Zur unverzüglichen weiteren
Versorgung des Antragstellers mit Leistung der häuslichen Krankenpflege hat er hilfsweise beantragt, als Zwischenregelung einen Hängebeschluss (Sicherung der Sicherungsmöglichkeit) zu erlassen.
Die Folgeverordnung vom 23.3.2021 umfasste folgende Maßnahmen der
Behandlungspflege, die täglich auszuführen sind: Herrichten der Medikamentenbox,
Medikamentengabe, das Anlegen und Ablegen der Beinorthese rechts und das Anlegen und Ablegen der Armpr...