Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlich verordneter Leistungen. Anwendung der Differenzberechnung auf sämtliche Nachforderungen
Leitsatz (amtlich)
Die in § 106b Abs 2a SGB V vorgesehene Differenzberechnung findet auf sämtliche Nachforderungen wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise und damit auch auf solche wegen unzulässig verordneter Arzneimittel Anwendung.
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die in §106b Abs. 2a SGB V vorgesehene Differenzberechnung auf Nachforderungen wegen nicht verordnungsfähiger Arzneimittel Anwendung findet.
Im Rahmen einer auf Antrag der Klägerin beim Beigeladenen zu 2) für das Quartal 3/2019 durchgeführten Prüfung nach §27 Prüfungsvereinbarung wegen unzulässig verordneter Arzneimittel setzte die Beklagte mit Bescheid vom 14.07.2021 einen Nachforderungsbetrag in Höhe von 59,28 Euro fest. Ein Teil der Nachforderung, 38,31 Euro, entfiel davon auf die auf die Verordnung des Präparates Arthothec forte. Die Klägerin hatte insoweit die Festsetzung einer Nachforderung in Höhe von 83,55 Euro beantragt. Die Beklagte vertrat unter Verweis auf §106b Abs. 2a SGB V die Auffassung, dass bei der Rückforderung betreffend Arthotec forte der Höhe nach eine Kostendifferenz zu berücksichtigen sei. Da die Klägerin im Prüfantrag die wirtschaftliche Leistung bzw. die durchschnittlichen wirtschaftlichen Verordnungskosten nicht benannt habe, stellte die Beklagte auf das Präparat VIMOVO zum Preis von insg. 45,24€ ab. Für das weitere im streitigen Bescheid gegenständliche Präparat Voltaren Emulgel berücksichtigte die Beklagte keine Kostendifferenz, da es zu dem genannten Präparat keine Alternative gebe.
Die Klägerin erhob dagegen am 12.08.2021 insoweit Klage, als sie dadurch beschwert wurde, dass die Beklagte bei unzulässigen Verordnungen die Differenzregelung in §106b Abs. 2a SGB V angewandt hat. Die Differenzberechnung nach dieser Vorschrift sei nicht auf die Verordnung von Arzneimitteln, die von vorneherein unzulässig sind, anzuwenden. Das zeige bereits der Wortlaut der Norm: nicht verordnungsfähige, also unzulässige Arzneimittel könnten niemals "wirtschaftlich(er)" sein. Das Vergleichspaar könne nur aus im GKV-System verordnungsfähigen Arzneimitteln bestehen, die sich lediglich im Preis unterschieden. Auch die Gesetzesbegründung stelle gerade darauf ab, dass sich die Differenzberechnung aus dem Mehrbetrag ergebe, der nach Abzug der ärztlich verordnungsfähigen Leistungen zulasten des Kostenträgers verbleibe. Dies setze eine gleichartige verordnungsfähige Leistung voraus, z. B. ein Generikum anstelle eines Originalpräparats. In diesen Fällen werde die Therapieentscheidung des Arztes nicht angetastet. Bei nicht zugelassenen Arzneimitteln könne eine solche Umsetzung nicht erfolgen, ohne die Therapieentscheidung des Arztes zu ändern dergestalt, dass sie durch eigene Mutmaßung der Prüfungsstelle ersetzt würde. Da unzulässige Verordnungen zu einem Schaden des Kostenträgers führten, sei hier auch kein Raum für eine Ausübung von Ermessen. Zudem würden, folge man der Rechtsauffassung im angefochtenen Bescheid, sämtliche gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen, wonach bestimmte Leistungen ausdrücklich von der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen sind, ins Leere gehen, sofern bei Verstößen dagegen kein vollständiger Regress bzw. eine vollständige Nachforderung erfolge. Wenn schließlich von Seiten der übrigen Beteiligten darauf hingewiesen werde, dass der Gesetzgeber in § 106b Abs. 2a S.1 SGB V nicht begrifflich zwischen wirtschaftlicher und unzulässiger Verordnung unterscheide, liege dies schlichtweg daran, dass er von Verordnungen ausgehe, die von vorneherein im GKV-System verordnungsfähige Arzneimittel beträfen. Daran ändere auch die allgemein gehaltene Regelung in § 106 b Abs. 1 S.2 SGB V nichts, da der Gesetzgeber die Abkehr vom "Alles oder Nichts-Prinzip" durch die Differenzberechnung nach § 106b Abs. 2a S.1 SGB V gleichsam als lex specialis nur auf unwirtschaftliche Verordnungen angewendet wissen wollte. Entgegen der Auffassung der Beigeladenen zu 1) sei vorliegend der Gedanke des sogenannten normativen Schadens sehr wohl einschlägig. Soweit Verordnungen gegen geltendes Recht verstießen, habe die Krankenkasse einen finanziellen Schaden. Dieser Schaden, den der Arzt der Krankenkasse verursacht habe, bestehe darin, dass sie gegenüber der Apotheke Medikamente bezahlen müsse, die der Arzt nicht hätte verordnen dürfen und der Versicherte nicht habe beanspruchen können. Die Feststellung der Ersatzpflicht des Arztes für die Kosten unzulässiger Verordnung im Rahmen eines Verordnungsregresses auf Antrag einer Krankenkasse erfolge ganz unabhängig davon, ob und nach welcher Methode die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise des Arztes im Übrigen geprüft werde. Auch sei der im zivilen Schadensrecht geltende Grundsatz des Vorteilsaus...