Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Sicherstellung des Bereitschaftsdienstes. Befreiungstatbestände nach § 14 Abs 1 der Bereitschaftsdienstordnung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (BDO-KVB). Krankenhausarzt (hier: Chefarzt), der zugleich über eine vertragsärztliche Zulassung verfügt. keine Gleichsetzung mit Vertragsarzt, der zugleich belegärztlich tätig ist. Ermessensentscheidung
Leitsatz (amtlich)
1. Die unter § 14 Abs 1 lit a bis e BDO-KVB möglichen Befreiungstatbestände (schwerwiegende Gründe) sind nicht abschließend, wie sich aus der Formulierung "insbesondere" ergibt. Es handelt sich primär um Gründe, die in der Person des Vertragsarztes (Erkrankung des Vertragsarztes, körperliche Behinderung des Vertragsarztes, Schwangerschaft der Vertragsärztin, = § 14 Abs 1 S 1 lit a+c) und im familiären Umfeld liegen (Betreuung von Familienangehörigen = § 14 Abs 1 S 1 lit b; Kinderbetreuung bis 36 Monate nach der Geburt = § 14 Abs 1 S 1 lit c).
2. Die Entscheidung über die Befreiung vom ärztlichen Bereitschaftsdienst ist nach dem Wortlaut in § 14 Abs 1 S 1 BDO-KVB ("kann") eine Ermessensentscheidung.
3. Ein Vertragsarzt, der belegärztlich tätig ist oder eine Privatklinik betreibt, kann nicht allein deshalb eine Befreiung vom Bereitschaftsdienst beanspruchen (vgl BSG vom 23.3.2016 - B 6 KA 7/15 R = SozR 4-2500 § 75 Nr 16; BSG vom 15.4.1980 - 6 RKa 8/78).
4. Ein Krankenhausarzt, der zugleich über eine vertragsärztliche Zulassung verfügt, ist nicht gleichzusetzen mit einem Vertragsarzt, der zugleich belegärztlich tätig ist. Die Voraussetzungen für eine Analogie des § 14 Abs 1 S 1 lit e BDO-KVB, nämlich das Bestehen einer Regelungslücke, Planwidrigkeit und Vergleichbarkeit liegen nicht vor.
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klage ist der Ausgangsbescheid der Beklagten vom 30.06.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.07.2017.
Mit dem Ausgangsbescheid wurde der Antrag des Klägers auf Befreiung vom Bereitschaftsdienst (Dienstgruppe Pilotregion Straubing-Dingolfing) abgelehnt. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde zurückgewiesen. Der Kläger, Facharzt für Urologie besitzt seit 01.04.2016 eine Zulassung mit einem hälftigen Versorgungsauftrag (Sonderbedarfszulassung). Gleichzeitig ist er Chefarzt am Klinikum C-Stadt im Angestelltenverhältnis und in Teilzeit (hälftige Tätigkeit) und führt dort zusammen mit einem Kollegen, der ebenfalls Chefarzt im Angestelltenverhältnis und in Teilzeit (hälftige Tätigkeit) ist, eine Hauptabteilung. In dieser Abteilung ist außerdem ein Oberarzt tätig.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 14 BDO-KVB nicht vorliegen. Zwar seien die genannten Beispiele nicht abschließend. Die Voraussetzungen nach § 14 Abs. 1 S. 2 lit. a-c BDO-KVB seien nicht erfüllt. Aber auch die Voraussetzungen nach § 14 Abs. 1 S. 2 lit. d und e BDO-KVB lägen nicht vor. Der Kläger habe keinen besonderen Versorgungsauftrag. Auch führe er keine belegärztliche Tätigkeit aus. Insgesamt sei darauf hinzuweisen, dass die vertragsärztlichen Pflichten grundsätzlich Vorrang vor weiteren Tätigkeiten genießen würden. Die Tätigkeit in anderen Versorgungsbereichen dürfe nicht dazu führen, dass der Vertragsarzt seinen vertragsärztlichen Verpflichtungen nicht nachkomme. Es stehe aber in eigener Verantwortung des Arztes, die unterschiedlichen Verpflichtungen miteinander in Einklang zu bringen (vgl. SG München, Urteil vom 24.04.2015, Az. S 21 KA 1010/13). Dem Vertragsarzt obliege in erster Linie die ambulante Versorgung der Versicherten. Die klinische Tätigkeit des Klägers sei als Nebentätigkeit anzusehen, die zwar vom Kassenarztrecht geduldet werde, ihn aber nicht von der Erfüllung seiner Pflichten abhalten dürfe. Hinzu komme, dass die Einteilung für den Kläger zumutbar sei, da der Dienstplan von vorneherein feststehe, die Einteilungsfrequenz mit 35 Dienststunden jährlich niedrig und auch eine Teilnahme durch einen Vertreter oder sog. "Poolarzt" möglich sei.
Im Widerspruchsverfahren wurde vorgetragen, der Kläger müsse im Rahmen seiner Chefarzttätigkeit 10-15 Bereitschaftsdienste pro Monat (je bis zu 24 Stunden) wahrnehmen. Diese Situation sei deutschlandweit einmalig. Es finde sowohl eine stationäre als auch ambulante Versorgung für Patienten im Umkreis von 30 km statt.
Dagegen ließ der Kläger Klage zum Sozialgericht München einlegen. Beim Sozialgericht München ist außerdem eine weitere Klage des Kollegen des Klägers (Sonderbedarfszulassung mit hälftigem Versorgungsauftrag, Chefarzttätigkeit) unter dem Aktenzeichen S 43 KA 359/17 anhängig, der ebenfalls die Befreiung vom vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst begehrt.
Zur Klagebegründung wurde insbesondere darauf hingewiesen, der Kläger halte zusammen mit seinem Kollegen im Rahmen der Chefarzttätigkeit ganzjährig einen stationären und ambulanten Bereitschaftsdienst vor. Deshalb sei die Tätigkeit des ...