Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht: Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Impfschäden. Anforderungen an den Ursachenzusammenhang zwischen Impfung und Schadenseintritt. Zulässigkeit der Annahme einer Kann-Versorgung bei unklarer Grunderkrankung

 

Orientierungssatz

1. Ist ein Ursachenzusammenhang zwischen einer Impfung (hier: Impfstoffe Prevanar und Infanrix hexa) mit einem Gesundheitsschaden (hier: Hirnatrophie oder Enzephalopathie) nicht bekannt, so kommt eine Anerkennung des Gesundheitsschadens allenfalls dann in Betracht, wenn zwischen Impfung und erstmaligem Auftreten des Gesundheitsschadens ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht.

2. Lässt sich eine Grunderkrankung für einen Gesundheitsschaden nicht bestimmen, so kommt die Anwendung der Grundsätze über die Kann-Versorgung im Rahmen von Versorgungsansprüchen aus einem möglichen Impfschaden nicht in Betracht.

3. Kleinere Einblutungen in das Gewebe (sog. petechiale Blutungen) stellen keinen anerkennungsfähigen Impfschaden dar.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 15.12.2016; Aktenzeichen B 9 V 64/16 B)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung von Impfschäden.

Der Kläger ist am 00.00.0000 geboren. Nach der Geburt befand sich der Kläger in der Zeit vom 31.03.2008 bis 10.04.2008 in stationärer Behandlung im D.-Hospital in N ... Am 01.04.2008 traten beim Kläger frische Blutungen oral und nasal auf. Wegen dieser Blutungen wurde er auf die Kinderintensivstation verlegt. Dort wurde der Verdacht auf postpartale stressbedingte hämorrhagische Gastritis gestellt. Unter einer Therapie mit Ranitidin für insgesamt acht Tage kam es zu einer Sistierung der Blutung. Am 16.04.2008 wurde der Kläger in gutem Allgemeinzustand aus dem D.-Hospital entlassen.

Eine weitere stationäre Behandlung des Klägers im D.-Hospital erfolgte in der Zeit vom 01.10.2008 bis zum 07.10.2008. Vorstellungsgrund war der hochgradige Verdacht für ein cerebrales Anfallsereignis. Im Entlassungsbericht vom 07.10.2008 werden u.a. die folgenden Diagnosen gestellt:

"Erstes cerebrales Anfallsereignis, Verdacht auf benigne frühkindliche Partialepilepsie Watanabe, Petechien, z.B. infektassoziierte Vasopathie, z.A. plasmatische Gerinnungsstörung, seröse Rhinitis."

Während der stationären Behandlung des Klägers wurde ein MRT des Schädels des Klägers angefertigt. Es wurden dabei altersentsprechend unauffällige intrazerebralen Strukturen dargestellt. Auch Sonographien des Schädels ergaben unauffällige Befunde.

Am 09.01.2009 wurde eine ambulante Untersuchung des Klägers im D.-Hospital durchgeführt. Es wurden dabei deutliche Petechien an Händen, Beinen und Gesicht, nicht konfluierend festgestellt. Der neurologische Untersuchungsbefund war regelrecht. Das Wach-EEG ergab einen für Alter und Ableitebedingungen insgesamt altersphysiologischen Befund.

Im Arztbrief über die ambulante Behandlung des Klägers im D.-Hospital am 06.05.2009 wird eine deutliche Entwicklungsverzögerung beim Kläger, insbesondere im statomotorischen Bereich, bestätigt. Am 16.07.2009 wurde der Kläger nochmals ambulant im D.-Hospital behandelt. Grund für diese Behandlung war die Entwicklungsretardierung des Klägers. Ein erneute MRT-Untersuchung des Schädels ergab eine eher leicht zunehmende Hirnatrophie mit weiten inneren und äußeren Liquorräumen und eine Myeliniesierungsverzögerung.

Im Arztbrief über die Behandlung des Klägers im Universitätsklinikum N. in der Zeit vom 09.02.2011 bis 11.02.2011 werden die folgenden Diagnosen gestellt: Verdacht auf neurokutane Erkrankung - Myelinisierungsstörung und Hirnatrophie - Psychomotorische Entwicklungsverzögerung - Sekundäre Mikrocephalie - Geburt Schwangerschaftswoche 36 + 3 - Zustand nach postpartaler hämorrhagischer Gastritis - Zustand nach transfusionspflichtiger Anämie postpartal - Zustand nach Hyperbilirubinämie (Fototherapie für einen Tag) - Zustand nach zwei Krampfanfällen.

Eine am 10.02.2011 vorgenommene MR-Untersuchung des Schädels nativ ergab eine im Vergleich zu den Voraufnahmen vom 02.01.2008 bzw. 16.07.2009 zunehmende asymmetrische deutliche Myelinierungsstörung linksseitig und zusätzlich eine progrediente asymmetrische linkshemisphärisch betonte Atrophie insbesondere temporal und okzipital mit asymmetrischer e vacuo Erweiterung der Seitenventrikel. Unter Beurteilung heißt es im Arztbrief vom 11.04.2011:

"Im Verlauf von anderthalb Jahren zunehmende asymmetrische Atrophie links hemisphärisch temporal und okzipital betont mit linkshemisphärischer Myelinisierungsstörung. Eine systemische genetische Ursache erscheint weniger wahrscheinlich, DD unklare entzündliche Genese."

In einem Arztbrief des Universitätsklinikums N. vom 12.01.2012 über eine stationäre Behandlung des Klägers in der Zeit vom 04.01.2012 bis 12.01.2012 werden die folgenden Diagnosen gestellt:

Unklare Grunderkrankung mit - petechialen Hautveränderungen im Gesicht (a.e. Vaskulitis DD: Vasopathie) - Myelinisierungsverzögerung (vor a...

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