Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Mietkautionsdarlehen. Zulässigkeit eines öffentlich-rechtlichen Vertrags. Nichtigkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrags. Gesetzeswidrigkeit. Verstoß gegen § 42a Abs 2 bis 4 SGB 2. Rückzahlungsvereinbarungen
Leitsatz (amtlich)
1. Die Gewährung eines Darlehens für eine Mietkaution nach § 22 Abs 6 SGB II kann durch öffentlich-rechtlichen Vertrag erfolgen.
2. Die bedungene Vereinbarung über die Rückzahlung des Darlehens ist unwirksam, wenn sie nicht den Vorgaben von § 42a Abs 2 bis 4 SGB II entspricht. Die Lücke ist durch Anwendung der genannten Vorschriften zu schließen.
3. Deckt eine zurückerlangte Kaution den noch nicht getilgten Darlehensbetrag nicht, bedarf es gemäß § 42a Abs 3 S 2 SGB II grundsätzlich zumindest eines Angebots des Grundsicherungsträgers gegenüber dem anderen Teil über Zahlungsvereinfachungen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu tragen.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rückforderung eines Kautionsdarlehens.
Die Beklagte erhielt vom Kläger u.a. im Jahr 2012 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Anlässlich eines Bezugs einer Wohnung in der Sch-straße in M vereinbarte die Beklagte mit dem Kläger die Gewährung eines Darlehens für eine Mietsicherheit in Höhe von 650,88 €. Die Beteiligten kamen hierbei überein, dass das Darlehen zuzüglich der hierzu anfallenden Zinsen zurückzuzahlen sei, wenn die Wohnung durch Auszug oder Tod aufgegeben werde oder der Leistungsbezug nach dem SGB II ende. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Darlehensvertrag vom 2. Mai 2012, Blatt 12 folgende der Gerichtsakte (GA), Bezug genommen.
Wegen eines zwischenzeitlichen Leistungsausschlusses hob der Kläger die der Beklagten bewilligten Leistungen für den Zeitraum 7. Juli bis 31. Juli 2016 rückwirkend auf. Zum 15. März 2018 zog die Beklagte im Zuge einer Zwangsräumung aus der Sch-straße in M aus.
Mit Schreiben vom 19. November 2019 forderte der Kläger die Beklagte auf, einen Betrag in Höhe von 650,88 € zu zahlen. Diese reagierte nicht.
Am 30. November 2020 hat der Kläger Klage auf Rückzahlung erhoben und führt zur Begründung insbesondere aus: Die Beklagte sei verpflichtet, aufgrund des Auszugs aus der Wohnung den Darlehensbetrag in einer Summe zurückzuzahlen. Des Angebots einer Rückzahlungsvereinbarung bedürfe es nicht. Eine Aufrechnung mit der Regelleistung sei durch die Handlung in der Form des öffentlich-rechtlichen Vertrags nicht möglich gewesen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 650,88 € zu zahlen.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich auch im Gerichtsverfahren nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der GA Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
A. Das Gericht konnte trotz des Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung verhandeln und in der Sache entscheiden, da die Beteiligten hierauf in der Ladung vom 7. März 2022 hingewiesen wurden.
Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage (§ 54 Absatz ≪Abs.≫ 5 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) statthaft. Ein Verwaltungsakt hatte hier nicht zu ergehen. Hat sich ein Träger der öffentlichen Verwaltung dafür entschieden, eine vertragliche Vereinbarung einzugehen anstatt einen Verwaltungsakt zu erlassen, darf er den gleichen Sachverhalt - gleichzeitig oder später - grundsätzlich nicht einseitig durch Verwaltungsakt regeln. So kann z. B. ein Sozialleistungsträger einen Anspruch aus einem mit einer Privatperson abgeschlossenen subordinationsrechtlichen öffentlich-rechtlichen Vertrag grundsätzlich nicht durch Verwaltungsakt („Zahlungsbescheid“) geltend machen (Thüringer Landessozialgericht ≪LSG≫, Urteil vom 17. Dezember 2019, L 9 AS 284/18, unveröffentlicht ≪uv.≫).
Mangels dieser Verwaltungsaktbefugnis des Klägers fehlt der Klage insbesondere auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis (vergleiche ≪vgl.≫ Thüringer LSG, Urteil vom 17. Dezember 2019, L 9 AS 284/18, uv.).
B. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 650,88 €.
I. Der Kläger kann den Rückzahlungsanspruch nicht aus den im Darlehensvertrag getroffenen Abmachungen herleiten. Die dort bedungene Rückzahlungsverpflichtung ist nach § 58 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) in Verbindung mit § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nichtig (für vergleichbare Verträge offen gelassen durch Thüringer LSG, Urteil vom 17. Dezember 2019, L 9 AS 284/18, uv.; anderer Ansicht (a.A.) insoweit Sozialgericht ≪SG≫ Nordhausen, Urteil vom 5. Februar 2018, S 11 AS 2371/16, uv.; SG Nordhausen, Urteil vom 6. Januar 2020, S 11 AS 1388/19, uv.). Zwar lagen die Voraussetzungen für den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags vor (dazu 1.), doch durften die Rückza...