Entscheidungsstichwort (Thema)
Private Pflegeversicherung. wohnumfeldverbessernde Maßnahme. Streit über Zuschussgewährung für Gegensprechanlage mit Videofunktion nach Einbau eines Treppenlifts. Gesamtmaßnahme iSv § 40 Abs 4 SGB 11. keine Anwendung der Entschädigungsregelung nach § 18 Abs 3b SGB 11
Orientierungssatz
1. Zum Streit über die Zuschussgewährung zu einer Gegensprechanlage mit Videofunktion nach Einbau eines Treppenlifts als wohnumfeldverbessernde Maßnahme iSv § 40 Abs 4 SGB 11 auf Grundlage von § 192 Abs 6 VVG 2008 iVm § 4 Abs 7 MB/PPV.
2. Eine Maßnahme iSd § 40 Abs 4 SGB 11 umfasst als Gesamtmaßnahme sämtliche Umbauten und technischen Hilfen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes des Pflegebedürftigen objektiv erforderlich sind. Die behindertengerechte Umgestaltung der Wohnung ist insgesamt als Verbesserungsmaßnahme zu werten und nicht in Einzelschritte aufzuteilen.
3. Der Anwendungsspielraum des § 18 Abs 3b SGB 11 wird auf wohnumfeldverbessernde Maßnahmen als nicht eröffnet angesehen.
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist ein Zuschuss zu einer Gegensprechanlage mit Videofunktion in Höhe von 1.918,28 € (50 Prozent der Gesamtrechnung entsprechend der tariflichen Absicherung bei der Beklagten) als wohnumfeldverbessernde Maßnahme sowie eine Entschädigung nach § 18 Abs. 3b SGB XI streitig.
Der 1958 geborene Kläger leidet an einem Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma, erheblicher Einschränkung der Gehfähigkeit mit Notwendigkeit der Nutzung eines Rollstuhls, zentralem Schwindel, Hirnorganischem Psychosyndrom, Taubheit grenzende Schwerhörigkeit etc.. Er hat einen Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen G, aG, H, RF und Gl zuerkannt bekommen.
Er ist bei dem Beklagten privat kranken- und pflegeversichert mit einem Tarif zu 50%, im Übrigen ist er beihilfeberechtigt. Er hat Pflegegrad 4 und wird von seiner Ehefrau zu Hause gepflegt.
Mit Urteil vom 22.03.2018 ist die Beklagte verurteilt worden, einen im Januar 2015 beantragten Zuschuss als wohnumfeldverbessernde Maßnahme für einen Treppenlift vom Erdgeschoss in das Untergeschoss zu gewähren.
Am 17.04.2019 erhob der Kläger vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage zum Sozialgericht Nürnberg.
Er beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Zuschuss zum Einbau einer Gegensprechanlage mit Videofunktion als wohnumfeldverbessernde Maßnahme in Höhe von 1.918,28 € zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für jede begonnenen Wochen 70,00 € ab Ablauf von 25 Tagen nach Eingang des Antrags des Klägers vom 2.12.2017 bei der Beklagte zu bezahlen.
3. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger mit Schreiben vom 20.12.2017 vertreten durch seine Ehefrau bei der Beklagten einen Zuschuss zu einer Gegensprechanlage mit Videofunktion beantragt habe. Dem Antrag sei ein amtsärztliches Attest von Frau Dr. V. beigefügt gewesen, in welchem sie einen behindertengerechten Umbau der Wohnung mit der Sprechanlage und der Türöffner für dringend erforderlich halte. In dem Amtsärztlichen Zeugnis führt die Ärztin aus, dass folgende Maßnahmen/Hilfsmittel aus medizinischer Sicht dringend erforderlich seien:
- Behindertengerechter Umbau und Ausbau des Wohnhauses
- (...)
- Installation eines Treppenlifts für den Zugang zur Wohnung
- (...)
- Behindertengerechter Umbau der Steckdosen und Schalter, der Sprechanlage und Türöffner, um diese vom Rollstuhl aus zu erreichen
- (...).
Auf diesen Antrag habe die Beklagt nicht reagiert. Am 12.12.2018 sei ein Beratungseinsatz beim Kläger durchgeführt worden. Der durchführende Pflegedienst habe auch den Einbau der Video-Türsprechanlage befürwortet. Mit Schreiben vom 20.12.2018 habe der Kläger erneut ausdrücklich einen Zuschuss zu Einbau der Gegensprechanlage mit Videofunktion beantragt. Die Beklagte habe daraufhin geantwortet, dass ein Anspruch geprüft würde, jedoch nur für eine Gegensprechanlage, nicht dagegen für die Videofunktion. Der Kläger habe der Beklagten daraufhin mitgeteilt, dass die Videofunktion für ihn als hochgradig schwerhörige Person zur Identifikation von Besuchern zwingend erforderlich sei. Zudem legte er einen Kostenvoranschlag vom 28.12.2018 über den Einbau in Höhe von 3.836,56 € vor. Mit Anwaltsschreiben vom 13.02.2019 sei die Beklagte nochmals aufgefordert, den Zuschuss in tariflicher Höhe zu gewähren. Die Beklagte habe die Frist fruchtlos verstreichen lassen. Die begehrte Maßnahme ermögliche dem Kläger eine möglichst selbständige Lebensführung. Er sei hochgradig schwerhörig, eine Gegensprechanlage ohne Videofunktion könne von ihm daher nicht genutzt werden. Er ist jedoch im Rahmen einer selbständigen Lebensführung darauf angewiesen, Besucher möglichst zweifelsfrei identifizieren zu können um dann zu entscheiden, ob dem Besucher Einlass gewährt werden kann. Besucher zu empfangen sei ein elementares Grundbe...