Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziale Pflegeversicherung. Verhinderungspflege. Anspruch grds auf Fälle beschränkt, in denen die Verhinderung der Pflegeperson darauf beruht, dass die Pflegeperson Erholungsurlaub benötigt. Anreise einer Pflegeperson über mehrere tausend Kilometer mit dem Flugzeug. Übermaß an Leistungen

 

Orientierungssatz

1. Die Frage, wann ein Übermaß an Leistungen vorliegt, kann nur anhand der konkreten, individuellen Situation des Pflegebedürftigen und seinem Hilfebedarf geprüft werden.

2. Von der gesetzlichen Konzeption her kann die Leistung eines ambulanten Pflegedienstes nicht unter den Begriff der "Verhinderungspflege" fallen, da es bei Ausfall einer professionellen Pflegekraft Aufgabe des Pflegedienstes ist, einen Ersatz zur Verfügung zu stellen.

3. Es steht außer Frage, dass es keinesfalls Wille und Zweck des Gesetzes war, die ausgefallene Hilfeleistung durch Anreise einer Pflegeperson über mehrere tausend Kilometer mit dem Flugzeug zu ermöglichen.

4. Der Anspruch nach § 39 SGB 11 ist grundsätzlich auf Fälle beschränkt, in denen die Verhinderung der Pflegeperson darauf beruht, dass die Pflegeperson Erholungsurlaub benötigt.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 23.03.2021; Aktenzeichen B 3 P 2/21 BH)

 

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Erstattung von Aufwendungen für Verhinderungspflege im Zeitraum vom 20.12.2017 bis 04.01.2018 in Höhe von 365,30 € und im Zeitraum vom 02.05.2018 bis 28.05.2018 in Höhe der gesetzlichen Höchstgrenze für das Jahr 2018 von 2418 EUR zuzüglich Verzugszinsen.

Streitgegenstand sind die Bescheide vom 04.05.2018 und vom 13.06.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.09.2018. Die zunächst auch gegen die Ablehnung der Erstattung der Aufwendungen für Verhinderungspflege in dem Zeitraum vom 20.07. bis 04.08.2017 gerichtete Klage wurde im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 15.02.2019 zurückgenommen und ist daher nicht mehr Streitgegenstand.

Der 1949 geborene Kläger ist bei der Beklagten pflegeversichert. Der Kläger erhielt seit dem 09.01.2014 Leistungen bei eingeschränkter Alltagskompetenz nach der bis zum 31.12.2016 geltenden Rechtslage und wurde dementsprechend ab 01.01.2017 übergeleitet in den Pflegegrad 2. Die Gewährung von Leistungen bei eingeschränkter Alltagskompetenz beruht auf einem sozialgerichtlichen Verfahren mit dem Aktenzeichen S 21 P 117/14 und einem anschließenden Berufungsverfahren mit dem Aktenzeichen L 2 P 51/16. In diesem Verfahren beauftragte das Sozialgericht Nürnberg den Sachverständigen Herrn Dr. W. mit einem Gutachten im Wege des Hausbesuchs. Herr Dr. W. kam in seinem Gutachten vom 14.03.2015 zu dem Ergebnis, dass Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung in Form der Pflegestufe I nicht in Betracht kämen, aber eine eingeschränkte Alltagskompetenz bestehe, die im Rahmen der Begutachtung habe festgestellt werden können. Der Gutachter schätzte den täglichen Zeitaufwand für die Grundpflege mit 19 min (Körperpflege 9 min/Tag, Ernährung 0 min/Tag; Mobilität 10 min/Tag) ein und für die hauswirtschaftliche Versorgung mit 45 min. Im Rahmen der Prüfung der eingeschränkten Alltagskompetenz stellte der Gutachter fest, dass nach der damals geltenden Rechtslage die Items 8 (Störung der höheren Hirnfunktionen) und 13 (Zeitlich überwiegend Niedergeschlagenheit, Verzagtheit, Hilflosigkeit oder Hoffnungslosigkeit aufgrund einer therapieresistenten Depression) erfüllt seien. Im Dezember 2016 stellt der Kläger erneut einen Antrag auf Zuerkennung der Pflegestufe I. Nach einem ablehnenden Widerspruchsbescheid erhob der Kläger auch insoweit Klage vor dem Sozialgericht Nürnberg, die unter dem Aktenzeichen S 21 P 126/16 geführt wurde. Es erfolgte eine Begutachtung durch den Neurologen und Psychiater Herrn Dr. H. Die Begutachtung durch Herrn Dr. H. ergab einen ähnlichen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege, wie ihn bereits Herr Dr. W. festgestellt hatte, so dass die Voraussetzungen für Pflegestufe I nicht erfüllt waren. Das Gericht wies die Klage mit Urteil vom 15.12.2017 ab. Der Kläger legte gegen das Urteil Berufung ein, die unter dem Aktenzeichen L 4 P 21/18 geführt wird und bisher noch nicht entschieden wurde.

Anfang 2017 stellte der Kläger einen Antrag auf Höherstufung in einen höheren Pflegegrad als 2. Eine Überprüfung durch den MDK ergab, dass bei dem Kläger allenfalls die Voraussetzungen eines Pflegegrades 1 erfüllt seien. Die Beklagte lehnte eine Höherstufung ab. Gegen die Ablehnung der Höherstufung erhob der Kläger Klage, die unter dem Aktenzeichen S 21 P 1/18 geführt wurde. Es erfolgte eine Begutachtung durch Frau Dr. K.. Die gerichtliche Sachverständige Frau Dr. K. konnte in ihrem Gutachten jedoch lediglich einen Punktwert von 13,75 gewichteten Punkten feststellen, der den für den Pflegegrad 1 notwendigen Grenzwert (12,5 gewichtete Punkte) minimal überschreitet. Die gerichtliche Sachverständige hat in dem Modul 3 "Verhaltensweisen und psychische Problemlagen" einen se...

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