Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss bei längerer stationärer Unterbringung. Begriff der stationären Einrichtung. Übergangsheim für Personen mit sozialen Schwierigkeiten
Orientierungssatz
1. Nach § 13 Abs 1 S 2 SGB 12 sind stationäre Einrichtungen solche Einrichtungen, in denen Leistungsberechtigte leben und die erforderlichen Hilfen erhalten. Entscheidend ist danach, ob der Träger der Einrichtung von der Aufnahme bis zur Entlassung die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung übernimmt. Dieses Verständnis des Begriffs "stationäre Einrichtung" kann für die Auslegung von § 7 Abs 4 SGB 2 herangezogen werden.
2. Eine Übernahme der Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung durch die Einrichtung kann nur dann erfolgen, wenn dem Hilfebedürftigen die Entscheidungsmacht über die tägliche Gestaltung seines Lebens abgenommen wird.
3. Zum Nichtvorliegen einer stationären Einrichtung iS § 7 Abs 4 SGB 2 bei einem Übergangsheim für Personen mit sozialen Schwierigkeiten.
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob es sich bei dem I. in J. um eine stationäre Einrichtung im Sinne des § 7 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) handelt.
Nach längerer Wohnungslosigkeit wurde die Klägerin, nachdem eine Unterkunft bei Bekannten nicht mehr möglich war (vgl. Seite 6 des Gesamtplans, Blatt 43 der Gerichtsakte), am 02. August 2004 in das K. in J. aufgenommen. Sie stellte am 19. August 2004 einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Am 01. Oktober 2004 wurde mit Wirkung vom gleichen Tage zwischen der Klägerin und dem I. ein Gesamtplan für die Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten in stationären Einrichtungen nach § 72 Bundessozialhilfegesetz (BSHG), jetzt § 67 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII), geschlossen. Hinsichtlich des weiteren Inhalts der Vereinbarung wird auf Blatt 32 bis 51 der Gerichtsakte verwiesen. Die Stadt J. als Träger der Sozialhilfe gewährte der Klägerin daraufhin Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach § 72 BSHG. Mit Bescheid vom 10. Dezember 2004 lehnte die Stadt J., deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte im Leistungsbereich des SGB II ist, den Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II unter Hinweis auf § 7 Abs. 4 SGB II ab. Der hiergegen eingelegte Widerspruch vom 27. Januar 2005 wurde mit Bescheid der Beklagten vom 16. Februar 2005 zurückgewiesen. Die Beklagte begründete ihre Entscheidung damit, dass die Klägerin den bei stationären Maßnahmen üblichen Barbetrag erhalte. Darüber hinaus sei der Aufenthalt bis zum 30. April 2005 vorgesehen und dauere somit über sechs Monate an.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 03. März 2005, eingegangen beim Sozialgericht Osnabrück am 07. März 2005, Klage erhoben. Sie ist der Ansicht, dass das I. nicht von der Aufnahme bis zur Entlassung die Gesamtverantwortung für ihre tägliche Lebensführung übernehme. Vielmehr handele es sich bei dem K. lediglich um eine Übergangswohnmöglichkeit, in der ihr entsprechend dem mit dem I. abgeschlossenen Gesamtplan Hilfestellungen und Anleitungen für verschiedene Lebensbereiche angeboten würden.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid der Stadt J. vom 10. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 16. Februar 2005 aufzuheben und ihr Grundsicherung für Arbeitsuchende gemäß den gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen.
Die Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, dass die umfangreiche therapeutische Hilfestellung und der Umstand, dass es sich um eine Leistungserbringung nach § 72 BSHG bzw. § 67 SGB XII handele, für eine stationäre Maßnahme im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB II sprächen. Zwischenzeitlich wurde der Gesamtplan am 06. April 2005 bis zum 01. Dezember 2005 fortgeschrieben.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugin L. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 21. November 2005 verwiesen. Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung. Auf ihren Inhalt wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte gemäß § 130 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur Leistung dem Grunde nach verurteilen, weil statthafte Klageart eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG ist und eine Leistung in Geld begehrt wird, auf die ein Rechtsanspruch besteht.
Danach ist die zulässige Klage begründet. Der Bescheid der Stadt J. vom 10. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 16. Februar 2005 ist rechtswidrig und deshalb aufzuheben. Die Klägerin hat neben der von der Stadt J. gewährten Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach § 67 SGB XII Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, denn bei de...