Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. angemessene Unterkunftskosten. Produkttheorie. konkrete Verfügbarkeit. Beweislast. vorherige Zusicherung. Pkw-Stellplatz. Ausbildungsförderung. zweckbestimmte Einnahme. Leistungsausschluss gem § 7 Abs 5 SGB 2. Krankenversicherungsbeitrag. Bedarfsermittlung in Bedarfsgemeinschaft. Unterkunftskostenzuschuss
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Beurteilung, ob der Aufwand für eine Unterkunft angemessen ist, ist im Rahmen einer abstrakten Angemessenheitsprüfung zu klären, welche Kosten der Unterkunft für einen Hilfebedürftigen im konkreten Wohnort abstrakt angemessen sind. Hierfür ist auf die Produkttheorie abzustellen. Für die Angemessenheit der Aufwendungen für eine Unterkunft kommt es daher nicht auf individuelle Merkmale der tatsächlich bewohnten Wohnung an. Eine Bestimmung der nach § 22 Abs 1 SGB 2 angemessenen Kosten der Unterkunft anhand des Baujahres der konkreten Wohnung ist nicht mit der Produkttheorie zu vereinbaren und führt zu unbilligen Ergebnissen.
2. § 7 Abs 5 SGB 2 schließt einen BAföG Berechtigten nicht aus der Bedarfsgemeinschaft aus, sondern führt lediglich dazu, dass dieser keinen eigenen Leistungsanspruch nach dem SGB 2 hat.
3. Ein striktes Abstellen auf die Regelung des § 9 Abs 2 S 3 SGB 2 erweist sich als problematisch, wenn ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft keinen eigenen Anspruch nach dem SGB 2 hat. In diesem Fall würde eine Anwendung des § 9 Abs 2 S 3 SGB 2 dazu führen, dass der Gesamtbedarf nicht gedeckt würde. Die Regelung des § 9 Abs 2 S 3 SGB 2 ist insoweit nicht mit den Regelungen des § 7 SGB 2 in Einklang zu bringen, wonach eine Bedarfsgemeinschaft auch Mitglieder aufweisen kann, die keinen eigenen Anspruch nach dem SGB 2 haben.
4. Tatsächlich ist in Fällen, in denen ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft keinen Anspruch nach dem SGB 2 hat, bei der Berechnung wie folgt vorzugehen: In einem ersten Schritt ist der persönliche Bedarf aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu ermitteln, wobei auch der fiktive Bedarf des nicht SGB 2 Leistungsberechtigten zu ermitteln ist. Sodann ist für jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft das Einkommen zu ermitteln. In einem dritten Schritt ist zu prüfen, ob das über den (fiktiven) eigenen Bedarf hinausgehende Einkommen der Person, die von Leistungen nach dem SGB 2 ausgeschlossen ist, beim Gesamteinkommen zu berücksichtigen ist. Liegt kein Einkommen vor, das den fiktiven eigenen Bedarf übersteigt, so ist anschließend nur mit den leistungsberechtigten Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft weiterzurechnen.
Orientierungssatz
1. Die Einholung der vorherigen Zusicherung zu den Aufwendungen für eine neue Unterkunft nach § 22 Abs 2 S 1 SGB 2 ist keine Anspruchsvoraussetzung, sondern hat die Bedeutung einer Obliegenheitspflicht, deren Verletzung keine Auswirkungen hat, wenn der Umzug gem § 22 Abs 2 S 2 SGB 2 erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind.
2. Als Erkenntnisquellen für die Ermittlung des maßgeblichen Mietniveaus kommen örtliche Mietspiegel oder Mietdatenbanken in Betracht. Fehlen derartige Erkenntnismöglichkeiten, ist der Grundsicherungsträger gehalten, für seinen jeweiligen Zuständigkeitsbereich eigene auf empirischer Basis tragfähige grundsicherungsrelevante Mietspiegel oder Tabellen zu erstellen. Die bloß punktuelle sporadische Auswertung von Zeitungsanzeigen oder Internetangeboten reicht nicht aus. Es ist daher auch nicht ohne weiteres zulässig, eine Pauschalierung anhand der Tabellen zu § 8 WoGG 2 vorzunehmen. Ein solches Vorgehen kommt allenfalls dann in Betracht, wenn alle anderen Erkenntnismöglichkeiten und -mittel zur Ermittlung der Angemessenheit des Wohnraums iS des § 22 Abs 1 SGB 2 ausgeschöpft sind.
3. Nach Feststellung der abstrakten Angemessenheitsgrenze ist in einem nächsten Schritt im Rahmen der Angemessenheit zu prüfen, ob für den Hilfebedürftigen tatsächlich auch die Möglichkeit bestand, eine abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung anmieten zu können. Besteht eine (in zeitlicher und örtlicher Hinsicht) konkrete Unterkunftsalternative nicht, so sind die Aufwendungen für die tatsächlich gemietete Unterkunft - trotz abstrakter Unangemessenheit - als konkret angemessen anzusehen (vgl BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 3). Eine Herabbemessung auf die abstrakt angemessenen Unterkunftskosten kommt nicht erst dann in Betracht, wenn dem Hilfebedürftigen ein konkretes Wohnungsangebot durch den Grundsicherungsträger unterbreitet wird; vielmehr genügt die realistische Chance, eine Unterkunftsalternative anmieten zu können, wobei es auf eine bestimmte Anzahl von Wohnungsalternativen nicht ankommt.
4. Es obliegt zunächst dem Hilfebedürftigen, substantiiert darzulegen, dass eine andere bedarfsgerechte, kostengünstigere Unterkunft im Bedarfszeitraum auf dem örtlichen Wohnungsmarkt nicht vorhanden bzw trotz ernsthafter und intensiver Bemühungen nicht auffindbar oder eine vorhandene Unterkunft nicht zugänglich war. Wenn der Hilfebedürftige...