Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. angemessene Unterkunftskosten. Produkttheorie. konkrete Verfügbarkeit. Beweislast. Kostensenkungsaufforderung. inhaltliche Voraussetzung
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Beurteilung, ob der Aufwand für eine Unterkunft angemessen ist, ist im Rahmen einer abstrakten Angemessenheitsprüfung zu klären, welche Kosten der Unterkunft für einen Hilfebedürftigen im konkreten Wohnort abstrakt angemessen sind. Hierfür ist auf die Produkttheorie abzustellen. Für die Angemessenheit der tatsächlichen Aufwendungen für eine Unterkunft kommt es daher nicht auf individuelle Merkmale der tatsächlich bewohnten Wohnung an. Eine Bestimmung der nach § 22 Abs 1 SGB 2 angemessenen Kosten der Unterkunft anhand des Baujahres der konkreten Wohnung ist nicht mit der Produkttheorie zu vereinbaren und führt zu unbilligen Ergebnissen.
2. Da es im Ergebnis maßgeblich auf die Kostenbelastung des Grundsicherungsträgers ankommt, führt auch eine im Hinblick auf die Wohnungsgröße eindeutig unangemessene konkret bewohnte Wohnung (vorliegend: 130 qm bei einer Person) nicht zur Unangemessenheit der zu übernehmenden Kaltmiete, wenn diese sich im abstrakt angemessenen Rahmen bewegt. Etwas anderes kann hingegen für die Nebenkosten gelten.
Orientierungssatz
1. Als Erkenntnisquellen für die Ermittlung des maßgeblichen Mietniveaus kommen örtliche Mietspiegel oder Mietdatenbanken in Betracht. Fehlen derartige Erkenntnismöglichkeiten, sind die Grundsicherungsträger gehalten, für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich eigene auf empirischer Basis tragfähige grundsicherungsrelevante Mietspiegel oder Tabellen zu erstellen. Die bloß punktuelle sporadische Auswertung von Zeitungsanzeigen oder Internetangeboten reicht nicht aus. Es ist daher auch nicht ohne weiteres zulässig, eine Pauschalierung anhand der Tabellen zu § 8 WoGG 2 vorzunehmen. Ein solches Vorgehen kommt allenfalls dann in Betracht, wenn alle anderen Erkenntnismöglichkeiten und -mittel zur Ermittlung der Angemessenheit des Wohnraums iS des § 22 Abs 1 SGB II ausgeschöpft sind.
2. Nach Feststellung der abstrakten Angemessenheitsgrenze ist zu prüfen, ob für den Hilfebedürftigen tatsächlich auch die Möglichkeit besteht, eine abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung anmieten zu können. Besteht eine (in zeitlicher und örtlicher Hinsicht) konkrete Unterkunftsalternative nicht, so sind die Aufwendungen für die tatsächlich gemietete Unterkunft - trotz abstrakter Unangemessenheit - als konkret angemessen anzusehen (vgl BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 3).
3. Eine Herabbemessung auf die abstrakt angemessenen Unterkunftskosten kommt nicht erst dann in Betracht, wenn dem Hilfebedürftigen ein konkretes Wohnungsangebot durch den Grundsicherungsträger unterbreitet wird; vielmehr genügt die realistische Chance, eine Unterkunftsalternative anmieten zu können, wobei es auf eine bestimmte Anzahl von Wohnungsalternativen nicht ankommt.
4. Es obliegt dem Hilfebedürftigen, substantiiert darzulegen, dass eine andere bedarfsgerechte, kostengünstigere Unterkunft im Bedarfszeitraum auf dem örtlichen Wohnungsmarkt nicht vorhanden bzw trotz ernsthafter und intensiver Bemühungen nicht auffindbar oder eine vorhandene Unterkunft nicht zugänglich war. Wenn der Hilfebedürftige seine Bemühungen um eine Kostensenkung nicht nachweisbar dokumentiert, braucht der Grundsicherungsträger kein konkretes Wohnungsangebot nachzuweisen.
5. Eine Kostensenkungsaufforderung hat Aufklärungs- und Warnfunktion, damit der Hilfebedürftige Klarheit über die angemessenen Unterkunfts- und Heizkosten sowie einen Hinweis auf die Rechtslage erhält. Sind dem Hilfebedürftigen die maßgeblichen Gesichtspunkte bekannt, so bedarf es nicht einmal der Aufklärung. Insoweit genügt regelmäßig die Angabe des angemessenen Mietpreises.
Tenor
1. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 02.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.08.2006 verurteilt, der Klägerin ab dem 01.08.2006 bis 30.11.2006 Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung einer Kaltmiete von 325,00 Euro zu gewähren.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Beklagte hat 2/3 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe der der Klägerin bewilligten Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.08.2006 bis 30.11.2006. Umstritten ist insbesondere die Angemessenheit der tatsächlichen Kosten der Unterkunft.
Die am ... geborene Klägerin beantragte erstmals am 18.11.2005 bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Die Klägerin legte hierzu einen am 20.09.1999 geschlossenen und ab dem 01.10.1999 laufenden Mietvertrag über eine 6-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 130 qm in der ... vor. (Bl. 15 - 17). Nach einem ebenfalls vorgelegten Schreiben des Vermieters vom 25.09.2002 beträgt die von der Klägerin zu zahlende Kaltmiete 350,-- € (Bl. 14 d. Verw.-Akte). Hin...