Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Umzug junger Erwachsener unter 25 Jahren ohne vorherige Zusicherung. Unzumutbarkeit der Verweisung auf die elterliche Wohnung. schwerwiegender sozialer Grund

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 20 Abs 2a und § 22 Abs 2a SGB 2 finden jedenfalls auch auf solche Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Anwendung, die vor dem Umzug keine Leistungen nach dem SGB 2 bezogen haben, wenn beim Auszug wahrscheinlich war, dass sie in Kürze leistungsberechtigt im Sinne des SGB 2 würden.

2. Die fehlende Zusicherung des kommunalen Trägers nach § 22 Abs 2a S 1 SGB 2 ist unschädlich, wenn der Betroffene einen Anspruch auf Erteilung der Zusicherung gemäß § 22 Abs 2a S 2 SGB 2 hatte und entweder einen Antrag auf Erteilung der Zusicherung gestellt hat oder die Voraussetzungen des § 22 Abs 2a S 3 SGB 2 vorliegen.

3. Zu den Voraussetzungen für die Annahme schwerwiegender sozialer Gründe im Sinne von § 22 Abs 2a S 2 SGB 2.

4. Das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen für die Zusicherungserteilung nach § 22 Abs 2a S 2 SGB 2 befreit nicht ohne weiteres von der Pflicht, die vorherige Zusicherung einzuholen. § 22 Abs 2a S 3 SGB 2 stellt eine zusätzliche Voraussetzung auf.

 

Tenor

Die Beklagte wird unter Abänderung ihres Bescheides vom 23. Januar 2007 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 16. Mai 2007 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2007 verurteilt, der Klägerin vom 18. Januar 2007 bis zum 31. Juli 2007 Leistungen nach dem SGB II zu gewähren und dabei einen Regelsatz von 345 € monatlich, für Juli 2007 in Höhe von 347 €, sowie Kosten für Unterkunft ab dem 12. April 2007 in Höhe von 154,60 € monatlich zugrunde zu legen.

Die Beklagte trägt die außergerichtliche Kosten der Klägerin.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II für die Zeit vom 18. Januar 2007 bis zum 31. Juli 2007.

Die am ... geborene Klägerin zog am 8. Januar 2007 aus der elterlichen Wohnung, in der sie bis dahin mit ihrer Mutter und ihrem Vater gelebt hatte, aus.

Am 17. Januar 2007 stellte sie bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.

Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 23. Januar 2007 Leistungen für die Zeit vom 18. Januar 2007 bis zum 31. Juli 2007 und zwar für die Zeit vom 18. Januar 2007 bis zum 31. Januar 2007 in Höhe von 200,20 Euro, für die Zeit vom 1. Februar 2007 bis zum 30. April 2007 in Höhe von monatlich 429 Euro, für Mai 2007 in Höhe von 381 Euro und für Juni und Juli 2007 in Höhe von monatlich 353 Euro. Der bewilligte Betrag setzt sich zusammen (für Januar 2007) anteilig aus einer Regelleistung von jeweils 276 Euro sowie einem befristeten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld (Januar 2007: 71,40 Euro; Februar bis April 2007: 153 Euro; Mai 2007: 105 Euro; Juni und Juli 2007: 77 Euro). Kosten für Unterkunft und Heizung wurden nicht berücksichtigt.

Mit Schreiben vom 31. Januar 2007 äußerte das zuständige Kreisjugendamt gegenüber der Beklagten seine Einschätzung hinsichtlich der Situation der Klägerin. In dem Schreiben heißt es, dass in einem Gespräch mit der Klägerin und einem sehr ausführlichen Gespräch mit der Klägerin und ihren Eltern deutlich geworden sei, dass ein Rückzug der Klägerin nach Hause nicht mehr sinnvoll sei und dass das alleinige Wohnen ein erster Schritt sei, “sehr eingefahrene Strukturen aufzulösen„.

Seit dem 1. Februar 2007 übt die Klägerin eine Nebenbeschäftigung im ... ... aus.

Ergänzend teilte das Kreisjugendamt am 6. Februar 2007 der Beklagten telefonisch mit, dass nach seinem Eindruck die Klägerin und ihre Mutter sehr zerstritten seien. Die Mutter habe in dem Gespräch die Klägerin verbal fertiggemacht und ihr den Eindruck vermittelt, sie sei zu nichts nutze. Die Klägerin hätte mehrmals Suizidabsichten geäußert. Der Vertreter des Kreisjugendamtes habe keine Chance zu einer Vermittlung erhalten.

Am 6. Februar 2007 teilte ein Vertreter der Arbeiterwohlfahrt, die sich um die Klägerin kümmerte, der Beklagten telefonisch mit, dass es mit dem Vater der Klägerin “wohl keine Probleme„ gebe.

Die Klägerin legte am 6. Februar 2007 Widerspruch gegen den Bescheid vom 23. Januar 2007 ein. Sie beantragte, ihr den vollen Regelsatz in Höhe von 345 Euro zu gewähren, weil sie aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung ihrer Eltern verwiesen werden könne.

Am 8. Februar 2007 beantragte die Klägerin beim Gericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, ihr über die im Bescheid vom 23. Januar 2007 bewilligten Leistungen hinaus Leistungen zu gewähren. Die Kammer lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 19. Februar 2007 ab (Aktenzeichen S 2 AS 516/07 ER). Hiergegen legte die Klägerin mit Schriftsatz vom 8. März 2007 Beschwerde ein, der die Kammer mit Beschluss vom 14. März 2007 nicht abhalf und dem Landessozialgericht Baden-Württ...

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