Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Familienversicherung. Gesamteinkommen. Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung. vorausschauende Betrachtungsweise. Maßgeblichkeit des Einkommensteuerbescheids. Indizwirkung. Amtsermittlungspflicht bei schlüssigen und erheblichen Einwendungen des Versicherten/Steuerpflichtigen gegen die Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen oder die steuerrechtliche Bewertung des Finanzamtes
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Feststellung des für das Bestehen einer Familienversicherung iSd § 10 Abs 1 SGB V maßgeblichen Gesamteinkommens ist eine vorausschauende Betrachtungsweise geboten (Anschluss an BSG vom 7.12.2000 - B 10 KR 3/99 R = SozR 3-2500 § 10 Nr 19).
2. Für die Prognose kommt grundsätzlich dem Einkommensteuerbescheid eine erhebliche Indizwirkung zu; angesichts bereits vorliegender behördlicher Ermittlungen durch das Finanzamt sollten grundsätzlich weitere Ermittlungen vermieden werden.
3. Der Einkommensteuerbescheid ist aber jedenfalls dann nicht ausschließlich maßgeblich, wenn die Feststellungen im Einkommensteuerbescheid falsch sind und dieser Umstand nicht offenkundig auf bewusst falschen Angaben des Beitragspflichtigen im Finanzverwaltungsverfahren (insbesondere zur Erzielung steuerrechtlicher Vorteile) beruht.
4. Sozialversicherungsträger und Sozialgerichte sind jedenfalls dann zur eigenen Beurteilung der Einkünfte verpflichtet, wenn der Versicherte/Steuerpflichtige gegen die Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen oder die steuerrechtliche Bewertung des Finanzamtes schlüssige und erhebliche Einwendungen erhebt (Anschluss an BSG vom 30.9.1997 - 4 RA 122/95 = SozR 3-2400 § 15 Nr 4).
5. Für die Schlüssigkeit der Einwände genügt es nicht, auf das Ausfüllen der Steuererklärung durch einen Dritten - vor allem einen Steuerberater - zu verweisen. Die Letztverantwortung trägt stets der die Erklärung zum Abschluss unterschreibende Steuerpflichtige, der auch die Richtigkeit überprüfen soll.
6. Um keine erhebliche Einwendung handelt es sich, wenn die Fehlerhaftigkeit der Feststellungen im Einkommensteuerbescheid auf bewusst falsche Angaben zurückzuführen ist, etwa um unter Nutzung der steuerrechtlichen Dispositionsfreiheit eine steuerrechtlich günstige Behandlung durch das Finanzamt zu erzielen.
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 06.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.2018 wird aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass der Kläger in der Zeit vom 31.05.2017 bis 30.06.2018 bei der Beklagten familienversichert war.
3. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um das Bestehen einer Familienversicherung des Klägers vom 31.05.2017 bis zum 30.06.2018.
Der Kläger war bis zum 30.11.2016 aufgrund des Bezuges von Arbeitslosengeld II bei der Beklagten versichert.
Der Kläger und seine Ehefrau, Frau D., sind laut einem Grundbuchauszug des Amtsgerichts B-Stadt vom 04.05.2000 je zur Hälfte Miteigentümer eines Grundstückes mit einem Haus, von dessen Räumlichkeiten zwei Wohnungen vermietet werden und eine Wohnung vom Kläger und seiner Ehefrau bewohnt wird.
Eine Wohnung wurde laut Mietvertrag vom 26.03.2009 mit Wirkung ab 01.04.2009 an Frau E., die Mutter des Klägers, vermietet. In dem Mietvertrag sind der Kläger und seine Ehefrau als Vermieter aufgeführt; unterschrieben wurde der Vertrag für die Vermieterseite allein vom Kläger. Laut den allein vom Kläger unterschriebenen Nebenkostenabrechnungen für die Jahre 2015 und 2017 betrug die Grundmiete 214,90 € monatlich. Das Mietverhältnis endete mit dem Tod von Frau E. Sodann bezogen der Kläger und seine Ehefrau die Wohnung.
Eine weitere Wohnung wird laut Mietvertrag vom 21.03.2011 seit dem 01.08.2011 an Herrn F., den Bruder des Klägers, vermietet. Im Mietvertrag ist allein der Kläger als Vermieter genannt, der auch für die Vermieterseite allein den Vertrag unterschrieb. Während der Zeit des Vertragsschlusses lebten der Kläger und seine Ehefrau getrennt. Aufgrund von persönlichen Differenzen des Herrn F. mit der Ehefrau des Klägers kümmert sich der Kläger im Gegensatz zu den anderen Mietverhältnissen allein um dieses Mietverhältnis. Laut den allein vom Kläger unterschriebenen Nebenkostenabrechnungen für die Jahre 2015 und 2016 betrug die Grundmiete 184,20 € monatlich.
Die ehemals vom Kläger und seiner Ehefrau bewohnte Wohnung wird - laut Mietvertrag vom 25.06.2017 - seit dem 01.07.2017 an Herrn G., den gemeinsamen Sohn, vermietet. Im Mietvertrag sind der Kläger und seine Ehefrau als Vermieter aufgeführt und der Vertrag ist für die Vermieterseite von beiden unterschrieben worden. In der allein vom Kläger unterschriebenen Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2017 heißt es, dass die Grundmiete ab 01.06.2017 339,50 € monatlich betrage.
Alle Mieter zahlten beziehungsweise zahlen den jeweiligen Mietzins auf das gemeinsame Konto des Klägers und seiner Ehefrau ein.
Im gemeinsamen Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2013 sind unter dem Punkt „Einkünfte aus Vermietung und Verpac...