Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. einstweiliges Rechtsschutzverfahren. Verfahrensgebühr. Nichtanwendbarkeit des verminderten Gebührenrahmens der Nr 3103 RVG-VV
Orientierungssatz
Da das Verfahren zum Erlass einer einstweiligen Anordnung eine Rechtsschutzform darstellt, die eigenen Entscheidungsmaßstäben folgt, bemisst sich die Verfahrensgebühr nach Nr 3102 RVG-VV. Der verminderte Gebührenrahmen der Nr 3103 RVG-VV kommt auch dann nicht zum Ansatz, wenn der Bevollmächtigte zuvor im Antrags- oder Widerspruchsverfahren tätig war (entgegen LSG Schleswig vom 28.2.2007 - L 1 B 467/06 SK = NZS 2008, 55).
Tenor
Auf die Erinnerung werden die dem Erinnerungsführer aus der Landeskasse zu erstattenden Kosten in Abänderung der Festsetzung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 26.01.2007 auf 313,20 € festgesetzt.
Diese Entscheidung ergeht kosten- und gebührenfrei.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten um die Höhe der erstattungsfähigen Rechtsanwaltsgebühren im Kostenfestsetzungsverfahren.
Der Erinnerungsführer machte am 07.10.2006 für die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens einen Eilantrag vor dem beschließenden Gericht anhängig, mit dem Gewährung höherer Leistungen nach dem SGB II begehrt wurde (S 20 AS 924/06 ER). Das Begehren hatte teilweisen Erfolg (Beschluss vom 30.11.2006). Der Erinnerungsführer wurde der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens im Rahmen der Gewährung von Prozesskostenhilfe beigeordnet. Mit Schriftsatz vom 10.01.2007 machte der Erinnerungsführer folgende Kosten geltend:
|
Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG |
250,00 Euro |
Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG |
20,00 Euro |
Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG 19 % |
51,30 Euro |
Zusammen |
321,30 Euro |
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle setzte im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 26.01.2007 220,40 Euro fest, die dem Erinnerungsführer aus der Landeskasse zu vergüten seien. Die Verfahrensgebühr wurde wegen der Vorbefassung des Erinnerungsführers im Widerspruchsverfahren nach Nr. 3103, nicht nach Nr. 3102 VV RVG berechnet, so dass die Mittelgebühr iHv 170,- € nebst Pauschale und MwSt. (16 % statt wie beantragt 19 %) festgesetzt wurde.
Am 13.02.2007 hat der Erinnerungsführer Erinnerung eingelegt, die er auf die Bemessung nach dem Gebührenrahmen der Nr. 3102 VV RVG beschränkt hat. Er tritt den Erwägungen des Kostenfestsetzungsbeschlusses entgegen.
Der Erinnerungsgegner hält die Auffassungen des Erinnerungsführers für unzutreffend und beantragt die Zurückweisung der Erinnerung.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat ihr nicht abgeholfen.
II. Die statthafte Erinnerung hat Erfolg.
Zutreffend hat der Erinnerungsführer die Verfahrensgebühr dem Gebührenrahmen der Nr. 3102 VV RVG entnommen. Dieser hätte der Festsetzung zugrunde gelegt werden müssen.
Ein Verfahren zum Erlass einer einstweiligen Anordnung stellt eine Rechtsschutzform dar, die eigenen Entscheidungsmaßstäben folgt und somit nicht auf ein vorangegangenes Verwaltungsverfahren aufbaut, so dass der Gebührentatbestand der Nr. 3102 VV, nicht derjenige der Nr. 3103 VV heranzuziehen ist (SG Duisburg, Beschluss vom 15.05.2007 - S 7 AS 249/06 ER -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.08.2007 - L 20 B 91/07 AS -; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29.07.2008 - L 6 B 141/07 -; SG Schleswig, Beschluss vom 30.12.2008 - S 2 SK 84/06 -; SG Berlin, Beschluss vom 10.06.2009 - S 165 SF 601/09 E -; SG Lüneburg, Beschluss vom 14.08.2009 - S 12 SF 94/09 E -; Groth, NJW 2007, 2298; a.A. etwa LSG Schleswig, Beschluss vom 28.02.2007 - L 1 B 467/06 SK -). Die Gegenansicht des LSG Schleswig vermag die Kammer nicht zu überzeugen. Die Arbeitserleichterung für den Anwalt, die der Absenkung des Gebührenrahmens gem. Nr. 3103 VV RVG zugrunde liegt, ergibt sich aus der typischerweise vorliegenden Identität der Streitgegenstände von Verwaltungs-, Widerspruchs- und Klageverfahren (SG Duisburg aaO). Diese besteht bei einstweiligen Rechtsschutzverfahren im Verhältnis zu Hauptsacheverfahren gerade nicht. Muss sich der Anwalt in Verfahren nach § 86b Abs. 2 SGG (einstweilige Anordnung) neben einer Auseinandersetzung mit dem nötigen Anordnungsanspruch, der noch am ehesten identisch mit dem Streitgegenstand der Hauptsache ist, zusätzlich Gedanken über einen Anordnungsgrund machen, so bedarf es in Verfahren gem. § 86b Abs. 1 S. 1 Nr 1, 2 SGG (Anordnung/Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung) bei ordnungsgemäßem Anwaltsvortrag zusätzlicher Ausführungen zur Interessenabwägung, die nichts mit dem Klaganspruch selbst zu tun haben, sondern mit den Auswirkungen der jeweiligen gerichtlichen Entscheidungsalternative (Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86b Rn. 12e). Dieser zusätzliche Bearbeitungsaufwand kann leicht denjenigen der Hauptsache erreichen, so dass der dem Gebührentatbestand der Nr. 3103 VV RVG zugrunde liegende Gedanke in Fällen der vorliegenden Art nicht zutrifft.
Der Kostenansatz innerhalb der Nr. 3102 VV RVG entspricht der Mittelgebühr und ist aus den im ...