Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Statthaftigkeit der allgemeinen Leistungsklage gegenüber einer beigeladenen Krankenkasse. Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a S 6 SGB V. Hörgeräteversorgung. Leistung der medizinischen Rehabilitation. Rechtsfolgen der Weiterleitung nach § 14 SGB IX. Hörgeräte als Sachleistung
Leitsatz (amtlich)
1. Die allgemeine Leistungsklage ist nach § 54 Abs 5 SGG gegenüber einer beigeladenen Krankenkasse statthaft, soweit das klägerische Begehren auf den Eintritt einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a S 6 SGB V gestützt werden kann. Hierfür bedarf es weder der Kombination mit einer Anfechtungsklage nach § 54 Abs 1 S 1 SGG noch der Durchführung eines Vorverfahrens bei der Beigeladenen.
2. Bei der Versorgung mit Hörgeräten handelt es sich auch im Leistungsrecht der GKV in aller Regel um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation, da sie in fast allen Fällen nicht (ausschließlich) der Sicherung eines Behandlungserfolgs, sondern (auch) dem Ausgleich einer Behinderung (§ 2 Abs 1 S 1 SGB IX) dient.
3. Die fristgemäße Weiterleitung eines Antrags nach § 14 SGB IX hat nicht zur Folge, dass der erstangegangene Rehabilitationsträger im Verhältnis zum Antragsteller seine gegebenenfalls bestehende Zuständigkeit für die Leistungserbringung verliert (Anschluss an BSG vom 14.12.2006 - B 4 R 19/06 R = SozR 4-3250 § 14 Nr 3 RdNr 32; entgegen ua BSG vom 24.1.2013 - B 3 KR 5/12 R = BSGE 113, 40 = SozR 4-3250 § 14 Nr 19 RdNr 16; BSG vom 20.10.2009 - B 5 R 5/07 R = SozR 4-3250 § 14 Nr 8 RdNr 15 f).
4. Eine Weiterleitung nach § 14 Abs 1 SGB IX schränkt die Wirkung der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a S 6 SGB V nicht ein. Bei einer Leistung der medizinischen Rehabilitation (hier Versorgung mit Hörgeräten) steht des § 13 Abs 3a S 9 SGB V der Anwendbarkeit des § 13 Abs 3a S 6 SGB V nicht entgegen (Anschluss an SG Speyer vom 8.4.2016 - S 19 KR 479/14).
5. Rechtsfolge der Fristversäumnis ist nach § 13 Abs 3a S 6 SGB V, dass die beantragte Leistung als genehmigt gilt (fingierter Verwaltungsakt) und die Krankenkasse die Sachleistung nunmehr auch zu gewähren hat (Anschluss an SG Speyer - S 19 KR 479/14 aaO).
6. Der Anspruch von Versicherten auf Versorgung mit Hörhilfen gemäß § 33 Abs 1 S 1 SGB V ist ein Sachleistungsanspruch, also auf tatsächliche Verschaffung von Hörgeräten gerichtet. Der Sachleistungsanspruch des Versicherten auf die erforderliche Hörgeräteversorgung wird weder durch die Festbetragsfestsetzung noch durch eine Preisvereinbarung zwischen Krankenkasse und Leistungserbringer begrenzt (Anschluss an SG Speyer vom 18.9.2015 - S 19 KR 509/14 = juris RdNr 32 ff).
Tenor
1. Die Beigeladene wird verurteilt, die Klägerin beidseitig mit Hörgeräten des Modells Widex Dream 220 D2-FS-P einschließlich des im Kostenvoranschlag vom 17.02.2014 genannten Zubehörs zu versorgen.
2. Die Beigeladene hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten zu erstatten. Eine weitergehende Kostenerstattung findet nicht statt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten für eine Hörgeräteversorgung.
Die 1964 geborene Klägerin leidet seit dem 15. Lebensjahr an Schwerhörigkeit. Die erstmalige Versorgung mit Hörgeräten erfolgte etwa im 23. Lebensjahr. Die letzte Versorgung erfolgte im Jahr 2006. Ein im Auftrag der Beklagten eingeholtes Sachverständigengutachten des HNO-Arztes und Audiologen Dr. St… kommt nach Untersuchung am 20.01.2016 zu dem Ergebnis, dass inzwischen eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit rechts und Taubheit links vorliegt. Die Klägerin arbeitet in einer internistischen Arztpraxis als Diabetesberaterin.
Über den Hörgeräteakustiker Sch… & M… GmbH beantragte die Klägerin im Februar 2014 bei der mit Beschluss vom 18.05.2015 zum vorliegenden Verfahren beigeladenen SBK-Krankenkasse die Übernahme der Kosten für die Versorgung mit Hörgeräten des Modells Dream 220-FS der Firma Widex unter Vorlage eines Kostenvoranschlags über den Betrag von insgesamt 4.299 Euro. Der Akustiker führte im Begleitschreiben hierzu aus, dass der Klägerin verschiedene Hörgeräte leihweise zur Probe überlassen worden seien. Zwischen dem 17.12.2013 und dem 22.01.2014 seien dies Geräte des Modells Naida S I UP (Phonak) „zum Festbetrag“ sowie des Modells Dream 220 - FS (Widex) gewesen. Im Freiburger Sprachtest hätten beide Hörgeräte-Paare das gleiche Ergebnis erzielt. Mit den Naida S I UP Hörgeräten sei dabei in Ruhe eine Sprachverständlichkeit von 50 % und mit Störschall (60 dB) 45 % erzielt worden, mit den Dream-Geräten 65 % und im Störschall 50 %. Bisher habe sie im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit allerdings nicht im Telefondienst und damit nicht zu allen Schichten eingesetzt werden können. Hierbei hätten weder Hörverstärker noch andere Zusatzgeräte geholfen. Bei den Dream-Hörgeräten sei es jedoch über eine spezielle Schnittstellentechnologie möglich, mit einem eigens dafür konzipierten Widex-Telefon eine Verbindung mit beiden Hörgeräten herzustellen. Hierdurch könne man sich direkt auf das Ges...