Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragszahnarzt. Behandlungsverpflichtung nach kollektivem Verzicht auf Zulassung bzw Ermächtigung. freie Arztwahl. Feststellung nach § 72a Abs 1 SGB 5
Leitsatz (amtlich)
1. Hat ein Vertrags(zahn)arzt in einem mit anderen Vertrags(zahn)ärzten aufeinander abgestimmten Verfahren auf seine vertrags(zahn)ärztliche Zulassung gemäß § 95b Abs 1 SGB 5 verzichtet, ist er vorerst weiter zur Behandlung gesetzlich Krankenversicherter nach Maßgabe von § 95b Abs 3 SGB 5 verpflichtet.
2. Gesetzlich Krankenversicherte können im Rahmen einer privatautonomen Entscheidung zur Erfüllung ihres Sachleistungsanspruchs aus den §§ 27 ff SGB 5 einen nach § 95b Abs 1 und 3 SGB 5 (nicht mehr) zugelassenen Arzt auswählen; die Regelung in § 76 Abs 1 SGB 5 über das Recht der freien Arztwahl bezogen auf die zugelassenen Leistungserbringer steht dem nicht entgegen.
3. Diese Verpflichtung ehemaliger Vertrags(zahn)ärzte besteht auch dann, soweit die zuständige Aufsichtsbehörde für den jeweiligen Bedarfsplanungsbereich keine Feststellung nach § 72a Abs 1 SGB 5 getroffen hat.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 5. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Juli 2005 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, den Behandlungsplan der Zahnärztin Dr. J. vom 22. September 2004 zu genehmigen.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, der Klägerin eine kieferorthopädische Behandlung nach Maßgabe des Behandlungsplans vom 22. September 2004 als Sachleistung zu gewähren.
Die notwendigen außergerichtlichen Auslagen der Klägerin und der Beigeladenen trägt die Beklagte.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer kieferorthopädischen Behandlung als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Die 1992 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich familienversichert. Sie leidet unter einer Zahnfehlstellung.
Die Beigeladene ist als Fachzahnärztin für Kieferorthopädie in K. (Kreis L.) niedergelassen. Sie nahm bis zum 30. Juni 2004 an der vertragszahnärztlichen Versorgung im entsprechenden Planungsbereich teil. Ab diesem Zeitpunkt verzichtete die Beigeladene neben vierzig weiteren Fachzahnärzten für Kieferorthopädie bzw kieferorthopädisch tätigen Zahnärzten auf ihre vertragszahnärztliche Zulassung. Zuvor hatte das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit als zuständige Aufsichtsbehörde mit Bescheid vom 3. Juni 2004 festgestellt, dass in den drei Niedersächsischen Planungsbereichen Landkreis M., Landkreis N. und Landkreis O. mehr als 50 % der dort niedergelassenen Vertragszahnärzte, die kieferorthopädische Leistungen erbringen, in einem mit anderen Zahnärzten aufeinander abgestimmten Verfahren oder Verhalten auf ihre Zulassung nach § 95b Abs 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) verzichtet hätten. In der Begründung des Bescheids warf das Ministerium 41 namentlich aufgeführten niedersächsischen (Fach-)Zahnärzten - darunter auch die Beigeladene - die Teilnahme an einem abgestimmten Verhalten vor.
Anfang Oktober 2004 reichte die Beigeladene einen privatärztlichen Behandlungsplan für eine kieferorthopädische Behandlung der Klägerin für insgesamt zwölf Quartale bei der Beklagten ein. Dem Behandlungsplan war eine Kostenaufstellung nach der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) über insgesamt 2.776,42 EUR sowie ein Antrag auf Übernahme der Behandlungskosten gemäß § 13 Abs 3 SGB V beigefügt. Mit Schreiben vom 5. Oktober 2004 lehnte die Beklagte diesen Antrag gegenüber der Klägerin unter Hinweis auf die gesetzlichen Vorschriften ab. Zur Begründung führte sie aus, dass Versicherte gemäß § 76 Abs 1 SGB V nur unter den zur vertragszahnärztlichen Behandlung zugelassenen Zahnärzten/Kieferorthopäden frei wählen können. Die Beigeladene nehme an dieser vertragszahnärztlichen Versorgung nicht (mehr) teil. Dem Schreiben war eine Aufstellung zugelassener Kieferorthopäden beigefügt, bei denen sich die Klägerin behandeln lassen könne. Ein hiergegen eingelegter Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2005).
Die Klägerin hat am 29. August 2005 Klage erhoben und zunächst die Erstattung der durch die kieferorthopädische Behandlung durch die Beigeladene entstehenden Kosten begehrt. Im Laufe des Verfahrens hat die Klägerin ihre Klage hinsichtlich der Gewährung einer kieferorthopädischen Behandlung als Sachleistung umgestellt.
Zur Begründung ihrer Klage führt sie aus, dass sie nach den §§ 29, 95b Abs 3 SGB V berechtigt sei, die Beigeladene im Rahmen ihres krankenversicherungsrechtlichen Sachleistungsanspruchs aus § 2 Abs 2 SGB V in Anspruch zu nehmen. So habe die Beigeladene gemeinsam mit anderen Ärzten in einem aufeinander abgestimmten Verfahren auf ihre Zulassung als Vertragszahnärztin verzichtet. In einem solchen Fall sei es nach dem Gesetzeswortlaut zulässig, im Rahmen des Rechts auf freie Arztwahl auch die Behandler zu wählen, die entsprechend ihrer Verzichtserklärung nicht mehr als Vertragszahnärzte zugelassen seien.
Die Klägerin beantragt zuletzt,
unter Aufhe...