Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosenversicherung: Arbeitslosengeldanspruch bei Tätigkeit im Ausland. Anforderungen an die Annahme eines unechten Grenzgängers als Voraussetzung der Zuerkennung von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung
Orientierungssatz
Hat ein Arbeitnehmer trotz einer Beschäftigung in einem anderen Land in Deutschland durchgehend ein Zimmer verfügbar gehabt, in dem er auch regelmäßig Zeit verbrachte und hat er zudem nach Deutschland soziale Kontakte aufrecht erhalten, so ist dieser Arbeitnehmer im Rahmen der Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung als unechter Grenzgänger einzustufen. Dies gilt auch dann, wenn er nicht an jedem freien Wochenende sein Zimmer nutzte. Insoweit kann der Arbeitnehmer nach Verlust seines Arbeitsplatzes, soweit er seinen Lebensmittelpunkt nach Deutschland verlegt, bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beanspruchen.
Tenor
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 24. Mai 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 2011 verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld ab 15. März 2011 nach den gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.
Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Arbeitslosengeld nach dem 3. Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Der am 9. März 1981 geborene Kläger ist französischer Staatsangehöriger. Vom 18. August 2008 bis 28. Februar 2011 übte er eine versicherungspflichtige Beschäftigung als Vorsteher in Rotterdam/Niederlande aus; das Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer schriftlichen Kündigung seines Arbeitgebers vom 24. Januar 2011. Nach Erhalt der Kündigung meldete er sich bei der niederländischen Arbeitsverwaltung Uitvoeringsinstituut Werknemersverzekeringen(UWV) arbeitslos und beantragte Sozialleistungen für den Fall der Arbeitslosigkeit. Am 17. Februar 2011 meldete er sich beim Einwohnermeldeamt seines jetzigen Wohnortes, wo er bereits von 2000 bis 2004 gemeldet war. Am 15. März 2011 meldete er sich bei der für diesen Ort zuständigen Agentur für Arbeit Verden arbeitslos und beantragte am 18. Mai 2011 Arbeitslosengeld. Dem schriftlichen Antrag fügte er bei eine Bescheinigung der UWV vom 16. Mai 2011 über Zeiten, die für die Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit zu berücksichtigen sind; danach hat er Versicherungszeiten in der Zeit vom 18. August 2008 bis 28. Februar 2011 zurückgelegt, aber keinen Anspruch auf Leistungen gegen den Träger, der die Bescheinigung ausgestellt hat. Ferner reichte er nach Aufforderung einen von ihm ausgefüllten Vordruck der Agentur für Arbeit zur Prüfung der Grenzgängereigenschaft ein; darauf gab er an, während der Auslandsbeschäftigung seinen Lebensmittelpunkt in Rotterdam gehabt, dort eine Wohnung bewohnt zu haben und nunmehr umgezogen zu sein, da seine Freundin in Verden wohne und arbeite. Mit Bescheid vom 24. Mai 2011 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab mit der Begründung, der Kläger habe die Anwartschaftszeit nicht erfüllt. Er sei in den letzten zwei Jahren vor dem 15. März 2011 weniger als 12 Monate versicherungspflichtig gewesen. Die von einem Träger aus einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union bescheinigten Zeiten könnten zur Erfüllung der Anwartschaftszeit nicht herangezogen werden, da unmittelbar vor Eintritt der Arbeitslosigkeit er nicht versicherungspflichtig in der Bundesrepublik bzw als echter oder unechter Grenzgänger beschäftigt gewesen sei. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 1. Juni 2011 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 2011 zurückwies. Darin wird ausgeführt, der Kläger sei nicht als sog unechter Grenzgänger einzustufen, da der Entschluss zum Aufbau einer gemeinsamen Zukunft mit seiner in Deutschland lebenden Freundin erst mit der Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses entstanden sei. Seit mindestens 2005 habe er nicht mehr in Deutschland gewohnt und die gelegentlichen Besuche bei einer befreundeten Familie in den nachfolgenden Jahren stellten keine enge Beziehung zu Deutschland im Sinne der Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und (EG) Nr. 988/2009 (GVO) des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 29. April 2004 und 16. September 2009 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und zur Festlegung des Inhalts ihrer Anhänge dar. Als unechter Grenzgänger sollten im Wesentlichen nur Personen anerkannt werden, die trotz Beschäftigung von vorübergehenden Aufenthalten in einem anderen Mitgliedsstaat sehr enge Beziehungen zum bisherigen Mitgliedsstaat beibehalten hätten.
Am 5. August 2011 hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Stade Klage erhoben, mit welcher er den Anspruch auf Arbeitslosengeld weiterverfolgt. Er ist der Auffassung, als unechter Grenzgänger in Rotterdam gearbeitet zu haben. Sein Lebensmittelpunkt befände sich seit langem in Deutschland. Dies gehe zurück auf eine langjährige Beziehung zu einer in Verden ansässigen Familie, die er während eines Schüleraustausche...