Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständiges Sozialgericht bei Rechtsstreit über Rückforderung von Krankenhausbehandlungskosten
Orientierungssatz
Bei Fällen, in denen einzelfallbezogen die Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung oder die Kodierung einer Behandlung mit der zutreffenden Fallpauschale im Streit steht, erfordert weder die Komplexität der Materie noch das Bestreben nach einer einheitlichen Rechtsprechung die Entscheidung durch das Gericht am Sitz der Landesregierung. Deshalb sind § 57a Abs 3 und 4 SGG nur dann einschlägig, wenn die Entscheidung oder der Vertrag auf Landes- bzw Bundesebene originärer Streitgegenstand ist, das heißt seine Gültigkeit durch die Klage selbst in Frage gestellt wird.
Nachgehend
Tenor
Das Sozialgericht Stuttgart erklärt sich für örtlich unzuständig und legt die Streitsache dem Bundessozialgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor.
Gründe
Zwischen den Beteiligten ist die Rückforderung von Kosten einer Krankenhausbehandlung streitig. Die klagende Krankenkasse fordert von dem beklagten Krankenhaus die für eine Krankenhausbehandlung bezahlte Vergütung zurück. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen war zu der Auffassung gelangt, dass die vollstationäre Behandlung nur zeitweise notwendig war.
Die Klage wurde am 11.03.2010 zum Sozialgericht Braunschweig erhoben. Mit Beschluss vom 12.05.2010 erklärte sich das Sozialgericht Braunschweig für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Sozialgericht Stuttgart. Zur Begründung wurde angegeben, Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin sei der nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) abgeschlossene Sicherstellungsvertrag zwischen der Baden-Württembergischen Krankenhaugesellschaft und den Verbänden der gesetzlichen Krankenkassen. Dies sei ein Vertrag auf Landesebene im Sinne des § 57 a Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Nach dieser Vorschrift sei das Sozialgericht zuständig, in dessen Bezirk die Landesregierung ihren Sitz habe.
Der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Braunschweig vom 12.05.2010 ist nicht bindend. Ein Verweisungsbeschluss wegen örtlicher (oder sachlicher) Unzuständigkeit ist zwar grundsätzlich auch dann verbindlich, wenn die Verweisung prozessuale oder materielle Vorschriften verletzt, denn die Bindungswirkung soll eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Verweisungsbeschlüssen im Interesse einer möglichst zügigen sachlichen Entscheidung gerade ausschließen. Eine Ausnahme kommt nach der Rechtsprechung jedoch dann in Betracht, wenn die Verweisung willkürlich ist oder auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze beruht (vgl. z. B. BSG, Beschl. v. 25.02.1999, B 1 SF 9/98 S, SozR 3-1720 § 17 a Nr. 11; Beschl. v. 27.05.2004, B 7 SF 6/04 S, SozR 4-1500 § 57 a Nr. 2). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor.
Nach § 57 a Abs. 3 SGG ist nur dann das Sozialgericht zuständig, in dessen Bezirk die Landesregierung ihren Sitz hat, wenn die Rechtssache Entscheidungen oder Verträge auf Landesebene betrifft. Weder eine Entscheidung noch ein Vertrag auf Landesebene ist vorliegend "betroffen".
Der baden-württembergische Sicherstellungsvertrag nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V ist nicht Anspruchsgrundlage der streitgegenständlichen Vergütungsforderung. Die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes (st. Rspr. d. BSG, z. B. Urt. v. 30.06.2009, B 1 KR 24/08 R, SozR 4-2500 § 109 Nr. 17; Urt. v. 08.09.2009, B 1 KR 8/09 R, veröffentlicht bei juris.de). Der Behandlungspflicht der nach § 109 SGB V zugelassenen Krankenhäuser steht ein gesetzlicher Vergütungsanspruch gegenüber. Der Zahlungsanspruch des Krankenhauses korrespondiert dabei mit dem Anspruch des Versicherten auf Krankenhausbehandlung. Demgemäß müssen beim Versicherten bei der Aufnahme in das Krankenhaus die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sowie Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit im Sinne von § 39 SGB V vorliegen (BSG, Urt. v. 13.05.2004, B 3 KR 18/03 R, BSGE 92, 300; Urt. v. 17.05.2000, B 3 KR 33/99 R, BSGE 86, 166, 168; Urt. v. 10.04.2008, B 3 KR 14/07 R, SozR 4-2500 § 39 Nr. 14). Der Sicherstellungsvertrag nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V regelt lediglich die "allgemeinen Bedingungen" der Krankenhausbehandlung und ist lediglich ergänzend heranzuziehen. Der Landesvertrag nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V ist nicht Voraussetzung für die Entstehung des Vergütungsanspruchs des Krankenhauses (vgl. BSG, Urt. v. 13.05.2004, B 3 KR 18/03 R, a. a. O.; Urt. v. 10.04.2008, B 3 KR 14/07 R, a. a. O.).
Der Landesvertrag nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V ist auch nicht deshalb im Sinne von § 57 a Abs. 3 SGG "betroffen", weil einzelne Regelungen des Vertrages möglicherweise bei der Prüfung des Vergütungsanspruchs ergänzend zu den gesetzlichen Voraussetzungen zur Anwendung kommen. § 57 a Abs. 3 SGG ist als Ausnahmevorschrift...