Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenübernahme für eine Magenbypassoperation. mittelbare Krankenbehandlung durch einen Eingriff an einem gesunden Organ. Erschöpfung konservativer Behandlungsmöglichkeiten bei einem Bodymaßindex von über 45 kg/m²
Orientierungssatz
1. Wird durch eine Operation in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert, wie das bei der Applikation eines Magenbandes zur Behandlung einer krankhaften Adipositas geschieht, bedarf diese mittelbare Behandlung einer speziellen Rechtfertigung, wobei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind (vgl BSG vom 19.2.2003 - B 1 KR 1/02 R = BSGE 90, 289 = SozR 4-2500 § 137c Nr 1).
2. Unabhängig von der Durchführung eines multimodalen Behandlungskonzeptes nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie “Chirurgie der Adipositas" Stand April 2010 ist von einem besonderen Ausnahmefall auszugehen, der im konkreten Einzelfall die Durchführung eines solchen überflüssig macht, wenn ein Bodymaßindex (BMI) von über 45 kg/m² vorliegt.
3. Az beim LSG Stuttgart: L 4 KR 5193/12
Tenor
Der Bescheid vom 13.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.09.2011 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin eine Operation in der Form eines gastric banding zu gewähren.
Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer adipositaschirurgischen Maßnahme, konkret die Durchführung eines laparoskopischen gastric banding.
Die 1961 geborene Klägerin ist bei der Beklagten seit 1980 gesetzlich krankenversichert, seit 01.05.2011 besteht eine Versicherung als Rentnerin.
Mit Schreiben vom 17.06.2009 beantragte sie über das Krankenhaus die Gewährung einer adipositaschirurgischen Maßnahme mittels eines ausführlichen ärztlichen Gutachtens. Bei Antragstellung hatte die Klägerin bei einer Körpergröße von 174 cm ein Körpergewicht von 139 kg, was einem Bodymaßindex (BMI) von 46 kg/m² entsprach. Die Klägerin leidet seit ihrer Kindheit an Übergewicht. Ein ärztliches Attest des behandelnden Psychiaters Dr. vom 18.06.2009 wurde ebenfalls vorgelegt, der die beantragte Operation unterstützte.
Die Klägerin leidet neben der bestehenden Adipositas per magna außerdem an einem chronifizierten Schmerzsyndrom (Stadium III), einer chronischen Lumbalgie, an einem Bandscheibenvorfall L5/S1, einer Spondylarhtrose, Depressionen und einer Angststörung, was sich aus den vorgelegten Befundberichten der behandelnden Ärzte ergibt.
In der Vergangenheit hatte die Klägerin von 1996 bis 1998 am “„ teilgenommen, und von 2002 bis 2003 Ernährungskurse in Gruppentherapie von ca. einem halben Jahr besucht. Außerdem befand sie sich in 2003 in der Klinik.
Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens verpflichtete sich die Klägerin zur Teilnahme an einer Ernährungsberatung, durchgeführt von der Beklagten, welcher gemäß Schreiben der Beklagten vom 28.01.2010 beginnend ab dem 12.02.2010 aus acht Kurstagen von jeweils einstündiger Dauer bestehen sollte. Die Teilnahme erfolgte nicht durchgehend, teils aus krankheitsbedingten Gründen der Klägerin, teils aus organisatorischen Gründen von Seiten der Beklagten.
Der behandelnde Psychotherapeut Dr. legte auf Anfrage der Beklagten ergänzend einen umfassenden Befundbericht (Gutachten) vom 22.07.2010 vor. Die Klägerin äußere Essattacken, die in Zusammenhang mit der depressiven Erkrankung stünden. Sie habe es mangels Erfolgen aufgegeben, eine spezielle Diät zu halten. Die Klägerin neige zu Frustessen. Die vorgesehene Maßnahme werde als erfolgversprechend und alternativlos angesehen.
Daneben legte die von der Beklagten beauftragte Dipl.-Sozialpädagogin einen Kurzbericht über ein stattgefundenes Beratungsgespräch mit der Klägerin vom 08.12.2010 vor.
Nach Einholung der genannten Unterlagen ließ die Beklagte ihren medizinischen Dienst (MDK) hinsichtlich der Voraussetzungen für die begehrte Operation Stellung nehmen. Der MDK legte seine sozialmedizinische Stellungnahme nach Aktenlage vom 23.12.2010 vor. Zusammenfassend bestehe keine durchgehende vorangehende Behandlungsdauer im Umfang von neun bis zwölf Monaten und es fehle der Klägerin an der nötigen Compliance, weshalb die medizinischen Voraussetzungen gemäß den Richtlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft für die Leistung nicht erfüllt seien.
Mit Bescheid vom 13.01.2011 lehnte die Beklagte die Gewährung der begehrten Operation ab und verwies auf die Feststellungen des MDK.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, den sie damit begründete, dass der Langzeiterfolg der chirurgischen Therapie hervorragend sei. Es sei wissenschaftlich belegt, dass nicht-chirurgische Maßnahmen lediglich geringe Gewichtsverluste bewirken könnten. Auf der Grundlage der neuen S3-Richtlinie der Deutschen Adipositas-Gesellschaft aus 2010 ...