Leitsatz
Nach zwei kinderlosen Ehen wollte die an multipler Sklerose leidende Beteiligte zu 2. im Jahre 2000 die Mutter der Beteiligten zu 1. adoptieren. Ihre Bemühungen insoweit blieben ohne Erfolg. Daraufhin beantragte sie, die Annahme der im Jahre 1977 geborenen Beteiligten zu 1. als Kind auszusprechen. Sie ist rumänische Staatsangehörige und hat eine Tochter im Alter von drei Jahren. Die Beteiligte zu 1. lebt mit ihren Eltern und ihrem Bruder in Rumänien, wohin auch die Beteiligte zu 2. übersiedeln möchte. In Abständen von drei Monaten - visumsbedingt - besucht die Beteiligte zu 1. die Beteiligte zu 2. in Deutschland für jeweils drei Monate. AG und LG haben den Antrag der Beteiligten zu 2. jeweils nach Anhörung der Beteiligten abgelehnt. Das LG hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, es bestünden Zweifel daran, dass zwischen den Beteiligten in Zukunft eine Eltern-Kind-Beziehung entstehen würde, da die Beteiligte zu 2. zunächst die Mutter der Beteiligten zu 1. habe adoptieren wollen und die Beteiligte zu 1. in Rumänien in einer intakten Familie lebt. Hiergegen hat die Beteiligte zu 2. weitere Beschwerde eingelegt, die jedenfalls zu einem vorläufigen Erfolg geführt hat.
Sachverhalt
siehe Kurzzusammenfassung
Entscheidung
Das OLG hielt die Entscheidung des Landgerichts für rechtsfehlerhaft, da sie nach dortiger Auffassung auf unzureichender Tatsachenermittlung beruhte. Bei der Frage, ob die Annahme eines Volljährigen als Kind "sittlich gerechtfertigt" ist, handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, die Feststellung der einzelnen Tatumstände ist somit dem Tatrichter vorbehalten. Ob diese Umstände in ihrer Gesamtheit ausreichen, um die Merkmale des unbestimmten Rechtsbegriffs zu erfüllen, stellt eine Rechtsfrage dar, deren unrichtige Beantwortung eine Gesetzesverletzung ist. Die vom Tatrichter verfahrensfehlerfrei festgestellten einzelnen Umstände sind für das Gericht der weiteren Beschwerde zwar bindend; ihre Bewertung im Rahmen des unbestimmten Rechtsbegriffs obliegt aber in vollem Umfang seiner Nachprüfung (BayObLG FGPrax 2002, 223 ff.).
Ein Eltern-Kind-Verhältnis kann auch zu einem bereits Volljährigen entstehen. In diesem Fall kann ein tatsächliches Zusammenleben von Adoptiveltern und Adoptivkindern nicht Wesensmerkmal des Eltern-Kind-Verhältnisses sein. Bei Annahme von Personen vorgerückten Alters sind an die Unterhaltung dauernder Beziehungen weniger weitgehende Anforderungen zu stellen, als bei der Adoption minderjähriger Kinder. Auch bei leiblichen Verwandten pflegen sich die Familienbeziehungen im Laufe der Jahre zu lockern und andere Formen anzunehmen. Das Eltern-Kind-Verhältnis unter Erwachsenen wird wesentlich durch eine auf Dauer angelegte Bereitschaft zum gegenseitigen Beistand geprägt, wie ihn sich leibliche Eltern und Kinder typischerweise leisten. Im Rahmen der Bereitschaft zu gegenseitigem Beistand kommt dem objektiven Interesse des Anzunehmenden kein Vorrang zu, wie er das Recht der Minderjährigenadoption beherrscht. Auch im natürlichen Eltern-Kind-Verhältnis verlagert sich die Pflege- und Unterstützungsbedürftigkeit mit fortschreitendem Alter vom Kind auf die Eltern.
Bei Zugrundelegung dieser Erwägungen lässt sich nach Auffassung des OLG die Entscheidung des LG nicht aufrecht erhalten. Die von dort angeführten Gründe rechtfertigen die Versagung der Adoption nicht. Wenngleich Zweifel daran bestehen, dass bereits eine Eltern-Kind-Beziehung zwischen den Beteiligten entstanden ist, muss primär geprüft werden, ob das Entstehen einer solchen Beziehung für die Zukunft zu erwarten ist. Nach Auffassung des OLG kann allein der Umstand, dass die Beteiligte zu 2. im Jahre 2000 zunächst die Mutter der Beteiligten zu 1. adoptieren wollte, durchgreifende Zweifel an der künftigen Entstehung einer Eltern-Kind-Beziehung zwischen den Beteiligten ebenso wenig begründen wie die Tatsache, dass die Beteiligte zu 1. in ihrer Heimat im Familienverbund lebt. Dieser Umstand schließt nicht aus, dass sie auch gegenüber der alleinstehenden Beteiligten zu 2. die Pflichten übernommen hat bzw. übernehmen will, die im natürlichen Eltern-Kind-Verhältnis einer Tochter zukommen.
Das OLG rügt an der Entscheidung des LG eine unzureichende Tatsachenermittlung insbesondere zu der Frage, ob und gegebenenfalls wie sich die Existenz einer "leiblichen" Familie der Beteiligten zu 1. auf das Entstehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses auswirkt. Im Übrigen hätte das LG auch die Motive beider Beteiligten hinterfragen müssen. Das Unterlassen dieser Ermittlungen stellt nach Auffassung des OLG einen Verstoß gegen § 12 FGG dar. Die Ermittlungsdefizite führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Rückverweisung der Sache an das LG.
Link zur Entscheidung
OLG Zweibrücken, Beschluss vom 09.09.2005, 3 W 121/05