Leitsatz

  1. Auch ein Sonderrechtsnachfolger (hier: Ehepartner) kann Handlungsstörer sein
  2. Vereinbarte wirtschaftliche Trennung zweier Wohnungseigentums-Doppelhaushälften lässt Grundsätze der Zustimmungspflichten nach § 22 Abs. 1 WEG unberührt
  3. Anhörungspflicht der Beteiligten seitens des Gerichts im Fall behaupteter, jedoch umstrittener formloser Zustimmungen zu baulichen Veränderungen
 

Normenkette

§§ 15 Abs. 3, 22 Abs. 1 WEG; § 1004 BGB; § 265 ZPO; § 12 FGG

 

Kommentar

  1. Laut Sachverhalt bestand die Wohnanlage aus zwei Doppelhaushälften nebst Garagen (als zwei Wohnungseigentumseinheiten) mit jeweils zugeordneten Sondernutzungsflächen. Das antragstellende Ehepaar hat ihre Doppelhaushälfte vermietet, während die in Antragsgegnerschaft stehenden Eheleute die andere Doppelhaushälfte selbst bewohnen. Den Antragsgegnern wurde baubehördlich 2003 der Anbau eines größeren Baukörpers und die Erweiterung des bestehenden Balkons genehmigt. Den Eingabeplan hatten die Antragsteller als "Nachbarn" unterzeichnet. Im Plan waren dann auch im Bereich der Stellplatz-Zufahrtsfläche ein "neuer Stellplatz" sowie eine "neue Pergola" eingetragen. Die Balkonerweiterung mit der darunter liegenden Pergola wurde in der Folgezeit durchgeführt. Nachfolgend (2004) beantragten die Antragsteller, beiden Antragsgegnern die Errichtung des genehmigten Anbaus zu verbieten, die Nutzung des weiteren Stellplatzes und der Zufahrtsfläche als Parkfläche oder Abstellplatz zu untersagen, die Antragsgegner zur Beseitigung der neuen Pergola und der Balkonerweiterung sowie zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands zu verpflichten.

    Der Antragsgegner zu 2 hatte Ende 2003 seinen Miteigentumsanteil auf die Antragsgegnerin zu 1 übertragen, was am 22.4.2004 (2 Tage nach Antragstellung) im Grundbuch eingetragen wurde.

    Die Anträge gegen den Antragsgegner zu 2 wurden dann bis auf denjenigen, die Errichtung des Anbaus zu unterlassen, zurückgenommen. Diesem Antrag hat das Amtsgericht stattgegeben. In der unbeschränkt erfolgten Beschwerde der Antragsgegnerin zu 1 wandte sich diese gegen die Verpflichtung zur Beseitigung der Pergola und der Balkonerweiterung nebst Wiederherstellung des Urzustands sowie das gegenüber beiden Antragsgegnern ausgesprochene Verbot zur Errichtung des Anbaus. Das Landgericht hat dieses Rechtsmittel zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde der Antragsgegner hatte vorläufig Erfolg. Der Streitfall musste zu weiterer tatrichterlicher Klärung zurückverwiesen werden.

  2. Was die Errichtung des behördlich genehmigten Anbaus betrifft, hätte das LG einen Unterlassungsanspruch nicht ohne persönliche Anhörung der Verfahrensbeteiligten bejahen dürfen. Die Errichtung eines solchen Anbaus ist eine nachteilige, nicht duldungspflichtige bauliche Veränderung, die auch der Zustimmung der Antragsteller bedarf. Selbst bei vereinbarter weitest möglicher wirtschaftlicher Trennung der Einheiten ist dadurch § 22 Abs. 1 WEG nicht abbedungen. Nachteilige bauliche Veränderungen können deshalb nicht ohne Zustimmung vorgenommen werden. Eine solche Zustimmung bedarf allerdings keiner notariellen Beurkundung (entgegen der Ansicht des Landgerichts), wenn hier bezüglich des Anbaus kein neues Sondereigentum geschaffen werden soll. Ein solcher Anbau auf Gemeinschaftsfläche bleibt Gemeinschaftseigentum. Die Änderung bedarf deshalb nicht der Formvorschrift des § 4 WEG. Ob eine Zustimmung nach § 22 Abs. 1 WEG erteilt wurde, hat allerdings das LG aufzuklären, hier durch Anhörung der Verfahrensbeteiligten, ggf. auch deren förmlicher Einvernahme. Zustimmungen können auch konkludent durch schlüssiges Verhalten erklärt werden. Eine derartige konkludente Zustimmung kann angenommen werden, wenn das Verhalten eines Wohnungseigentümers bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte eindeutig und zweifelsfrei als Zustimmung aufzufassen ist und der Erklärende die mögliche Deutung seines Verhaltens als Zustimmung bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen können. Ob ein öffentlich-rechtliches Einverständnis zu einem Bauantrag mit der bürgerlich-rechtlichen Erklärung i. S. v. § 22 WEG verbunden ist, muss im Einzelfall durch eine am Empfängerhorizont der Wohnungseigentümer orientierten Auslegung ermittelt werden (vgl. auch Merle in Bärmann/Pick/Merle, 9. Aufl., § 22 Abs. Rn. 114 m. w. N.).

    Die Unterschrift der Antragsteller auf einem Eingabeplan muss allerdings nicht ohne Weiteres als Zustimmung gewertet werden. Aus diesem Grund ist die Anhörung der Verfahrensbeteiligten im Streitfall regelmäßig zur Aufklärung von Tatsachen unerlässlich, da hier auch auf weitere Gespräche zwischen den Beteiligten verwiesen wurde. Das Gericht muss sich hier einen unmittelbaren, persönlichen Eindruck im Rahmen einer Befragung verschaffen. Nicht auszuschließen war im vorliegenden Fall auch die etwaige Verfälschung eingereichter Baugenehmigungsantragsunterlagen. Auch anhand der Grundakten und ggf. durch Sachverständigengutachten müsste geklärt werden, ob di...

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