Daniel Hagmann, Monika Oerder
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Art. 103 Abs. 3 GG garantiert dem schon bestraften oder rechtskräftig freigesprochenen Täter Schutz gegen erneute Verfolgung und Bestrafung. |
2. |
Wesentlich für die Anwendung des Art. 103 Abs. 3 GG ist, dass "dieselbe Tat" vorliegt. |
3. |
Für das Verhältnis von Straf- und Disziplinarstrafe gilt Art. 103 Abs. 3 GG nicht. Gleichwohl kann das Nebeneinander zu einem Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip führen. |
Rdn 954
Literaturhinweise:
s. die Hinw. bei → Verfassungsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 730.
Rdn 955
1.a) Art. 103 Abs. 3 GG garantiert dem schon bestraften oder rechtskräftig freigesprochenen Täter Schutz gegen erneute Verfolgung und Bestrafung wegen derselben Tat (BVerfGE 12, 62, 66; BVerfG, Urt. v. 31.10.2023 – 2 BvR 900/22, NJW 2023, 3698). Art. 103 Abs. 3 GG verbietet damit eine Doppelbestrafung, setzt aber eine Entscheidung eines deutschen Gerichts voraus (BVerfG NJW 2012, 1202 f.). Art. 103 Abs. 3 GG hindert nicht eine neuerliche strafrechtliche Verfolgung einer im Ausland rechtskräftig abgeurteilten Tat durch die zuständigen Organe der Bundesrepublik Deutschland, soweit nicht das ausländische Urteil als vollstreckbar anerkannt und vollzogen und hierdurch auf den deutschen Strafanspruch verzichtet wird (BVerfGE 75, 1, 16).
☆ Auch wenn Art. 103 Abs. 3 GG eine Entscheidung eines deutschen Gerichts voraussetzt, kann sich einfach-rechtlich eine interessante Verteidigungslösung analog dem zivilrechtlichem forum-shopping ergeben. Art. 54 SDÜ erstreckt das Verbot der Doppelbestrafung nämlich nicht nur auf Urteile, sondern auf alle verfahrensbeendenden Entscheidungen , nach denen im nationalen Recht Strafklageverbrauch (z.B. § 153a) eintritt (dazu Roxin/Schünemann , § 3 Rn 22 ff. m.w.N., und den Rspr.-Überblick bei Burhoff , EV, Rn 2278 ff.).Art. 54 SDÜ erstreckt das Verbot der Doppelbestrafung nämlich nicht nur auf Urteile, sondern auf alle verfahrensbeendenden Entscheidungen, nach denen im nationalen Recht Strafklageverbrauch (z.B. § 153a) eintritt (dazu Roxin/Schünemann, § 3 Rn 22 ff. m.w.N., und den Rspr.-Überblick bei Burhoff, EV, Rn 2278 ff.).
Rdn 956
b)aa) Das verfassungsrechtliche Verbot der Doppelbestrafung steht daher auch der Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an einer Vollstreckung eines zweiten Strafurteils einer in einem fremden Staat abgeurteilten Straftat durch Auslieferung des Täters an einen anderen fremden Staat nicht entgegen. Eine solche Mitwirkung verstößt als solches auch nicht gegen den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit oder sonstige verfassungsrechtliche Gewährleistungen (BVerfGE 75, 1, 16).
Rdn 957
bb) Ein – auch verfassungsrechtlicher – Verteidigungsansatz gegen eine Auslieferung kann sich aber daraus ergeben, wenn die durch Auslieferung zu erwartende Strafe unverhältnismäßig hart wäre (BVerfGE 75, 1, 16 f.). Ebenso kann der Schuldgrundsatz eine verfassungsrechtliche Prüfungspflicht bei der Auslieferung zur Vollstreckung eines italienischen Abwesenheitsurteils erfordern (BVerfG, Beschl. v. 15.12.2015 – 2 BvR 2735/14 = NStZ 2016, 546) oder eine Prüfung der Haftbedingungen im Zielstaat erforderlich sein (BVerfG, Beschl. v. 18.8.2021 – 2 BvR 908/21, NStZ-RR 2021, 386; Beschl. v. 27.4.2021 – 2 BvR 156/21, NStZ-RR 2021, 257). Die Gefahr, dass von einem Auslieferungsverfahren betroffene Personen im Zielstaat politischer Verfolgung oder den Mindeststandards nicht genügenden Strafverfahren ausgesetzt sein werden, kann grds. mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden (BVerfG, Beschl. v. 22.11.2019 – 2 BvR 517/19, NStZ-RR 2020, 59; zur Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes bei Auslieferung in die USA, BVerfG, Beschl. v. 17.5.2017 – 2 BvR 893/17, NStZ-RR 2017, 226; zur Auslieferung eines Deutschen bei Inlandsbezug der Straftat, BVerfG, Beschl. v. 9.11.2016 – 2 BvR 545/16, NStZ-RR 2017, 55).
Rdn 958
Insoweit kann u.a. eingewandt werden (BVerfGE 75, 1 ff.),
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dass die Strafe, die gegen den Verfolgten im ersuchenden Staat verhängt wurde, unerträglich hart, mithin unter jedem denkbaren Gesichtspunkt unangemessen ist, |
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dass die im ersuchenden Staat verhängte Strafe mit Blick auf eine Nichtanrechnung oder Nichtberücksichtigung der in einem Drittstaat wegen derselben Tat erlittenen Strafe die äußerste Grenze zur unerträglichen Härte überschreitet, |
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dass die angedrohte oder verhängte Strafe grausam, unmenschlich oder erniedrigend (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG) ist, |
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nicht hingegen, dass die zu vollstreckende Strafe lediglich als in hohem Maße hart anzusehen ist und bei einer strengen Beurteilung anhand deutschen Verfassungsrechts bereits nicht mehr als angemessen erachtet werden könnte. Das Grundgesetz geht von der Eingliederung des von ihm verfassten Staates in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft aus (Präambel, Art. 24 bis 26 GG). Es gebietet damit zugleich, fremde Rechtsordnungen und -anschauungen grds. zu achten. |
☆ Die Auffassung der deutschen Rechtsordnung von maß - und sinnvollem Strafen kann im Auslie...