Detlef Burhoff, Dr. Peter Kotz
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Es gibt keine haftungsrechtlichen Freiräume für Strafverteidiger. Die Grundlagen der Haftung ergeben sich aus dem geschlossenen Vertrag oder aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis. |
2. |
Anspruchsgrundlage für Haftungsansprüche ist regelmäßig § 280 Abs. 1 BGB (Schadensersatz wegen Pflichtverletzung). |
3. |
Die Haftung greift, wenn bewiesen ist, dass der Verteidiger schuldhaft eine Dienstleistungspflicht verletzt hat und dem Beschuldigten daraus ein Schaden entstanden ist. |
4. |
Eine Verteidigerhaftung ist auch aus Delikt (823 BGB) möglich. |
5. |
Die Gefahr eines tatsächlichen Regresses ist derzeit eher gering; das Risiko, in einen Haftungsprozess gezogen zu werden, hat dagegen zugenommen. |
6. |
Auch Beistände und Vertreter von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren haften grds. nach denselben Voraussetzungen wie alle anderen Rechtsanwälte. |
Rdn 1029
Literaturhinweise:
S. die Hinw. bei → Rechtsanwälte, Zivilrecht, Allgemeines, Teil H Rdn 1024.
Rdn 1030
1. Wie alle anderen Rechtsanwälte können auch Verteidiger für unzureichende Dienstleistungen in Regress genommen werden. Die Grundlagen der Haftung ergeben sich dabei entweder aus dem geschlossenen Mandatsvertrag beim Wahlverteidiger bzw. dem gesetzlichen Schuldverhältnis beim bestellten Verteidiger.
Rdn 1031
Es gibt also keine haftungsrechtlichen Freiräume für Verteidiger (MAH-Barton, § 41 Rn 5). Dagegen spricht nicht – wie allerdings manche noch immer meinen –, dass im deutschen Strafverfahren auch Richter (§§ 244 Abs. 2, 155 Abs. 2 StPO) und Staatsanwälte (§ 160 Abs. 2 StPO) zur Wahrheitsermittlung und damit auch zur materiellen Verteidigung verpflichtet sind. Die Rechtsprechung der Zivilgerichte lässt keinen Zweifel daran, dass der Verteidiger – unabhängig davon, ob auch das Gericht Verantwortung für einen Fehler trägt – nach allgemeinen Grundsätzen für Schäden zu haften hat, die dem Mandanten entstanden sind (dazu Müller-Gerteis, S. 99 ff.). Gegen eine zu weit gehende Überbürdung der Haftungsrisiken, insbesondere dann, wenn das Gericht selbst nicht prozessordnungsgemäß gehandelt hat, sind vom BVerfG NJW 2002, 2937 Bedenken geäußert worden; der BGH hat sich darüber allerdings hinweg gesetzt.
☆ Allerdings entfällt in der Praxis bei Strafverteidigern eine wichtige Haftungsquelle, weil die Strafrechtsprechung Beschuldigten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Verschulden des Verteidigers i.d.R. gewährt. Das gilt nicht nur für den Pflicht-, sondern auch den Wahlverteidiger und auch bei Fehlern des Anwaltspersonals ( Burhoff , EV, Rn 4382; Burhoff , HV, Rn 3464, jew. mit Rspr.-Nachweis).Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Verschulden des Verteidigers i.d.R. gewährt. Das gilt nicht nur für den Pflicht-, sondern auch den Wahlverteidiger und auch bei Fehlern des Anwaltspersonals (Burhoff, EV, Rn 4382; Burhoff, HV, Rn 3464, jew. mit Rspr.-Nachweis).
Rdn 1032
2.a) Anspruchsgrundlage für Haftungsansprüche gegen Verteidiger ist regelmäßig § 280 Abs. 1 BGB (Schadensersatz wegen Pflichtverletzung; vgl. MAH-Barton, § 41 Rn 10; FA-Strafrecht/Köllner Rn 115).
Rdn 1033
b) Auch Schmerzensgeld wegen Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit und der sexuellen Selbstbestimmung kann gem. § 253 Abs. 2 BGB seit dem 31.7.2002 verlangt werden (MAH-Barton, § 41 Rn 10; Müller-Gerteis, S. 84 f.).
Rdn 1034
3. Die Haftung setzt voraus
▪ |
eine schuldhafte Verletzung einer Dienstleistungspflicht, |
▪ |
die adäquat kausal einen Schaden beim Mandanten verursacht hat und |
▪ |
dass der Mandant Pflichtverletzung und Schaden nach allgemeinen Regeln zivilrechtlich beweisen kann (FA-Strafrecht/Köllner Rn 115). |
Im Einzelnen:
Rdn 1035
a) Pflichtverletzungen werden vertieft behandelt bei → Rechtsanwälte, Zivilrecht, Pflichten, Teil H Rdn 1054.
Rdn 1036
b) Pflichtwidrigkeit und Verschulden werfen in der Praxis kaum Probleme auf. Auch für den Nachweis der Pflichtwidrigkeit ist der Kläger beweispflichtig. Ein Verschulden in Form von Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Beistand die im Verkehr übliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat (§ 276 Abs. 2 BGB). Der Anwalt wird entsprechend der allgemeinen Haftungsrechtsprechung weder durch situationsbezogene Umstände wie bspw. Krankheit entschuldigt noch dadurch, dass anderen Rechtskundigen – namentlich Gerichten – derselbe Fehler unterläuft (BVerfG NJW 2002, 2937; MAH-Barton, § 41 Rn 55).
Rdn 1037
c) Die Berechnung eines etwaigen Schadens wirft in der Praxis keine erheblichen Probleme auf; sie erfolgt nach der allgemeinen Differenzhypothese, wonach zu fragen ist, wie sich das Vermögen des Mandanten ohne die Pflichtverletzung des Dienstleisters entwickelt hätte (MAH-Barton, § 41 Rn 60).
Rdn 1038
aa) Als viel schwieriger stellt sich die Frage dar, wann ein Beschuldigter im Strafverfahren einen Schaden erleidet. Hier ist von der Haftungsrechtsprechung geklärt worden, dass nicht jeder mögliche Schadensposten rechtlich relevant ist; der Schadensbegriff hat insofern eine normative Kontrolle erfahren. Der Mandant soll nicht mehr erhalten als das, was ...