Detlef Burhoff, Dr. Peter Kotz
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Trotz Vorliegens einer Schädigung i.S.d. § 1 Abs. 1 OEG kann nach § 2 OEG eine Entschädigung versagt werden. |
2. |
Nach § 2 Abs. 1 1. Alt. OEG sind Leistungen zwingend zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat |
3. |
Nach § 2 Abs. 1 S. (2. Alt.) OEG kommt auch ein fakultativer Ausschluss in Betracht |
Rdn 54
1. Trotz Vorliegens einer Schädigung i.S.d. § 1 Abs. 1 OEG kann nach § 2 OEG eine Entschädigung versagt werden. Unterschieden wird zwischen zwingenden und fakultativen Versagungsgründen auf Grundlage einer Ermessensentscheidung (ausführlich dazu Doering-Striening, Opferrechte § 3 Opferentschädigung Rn 243 ff.).
Rdn 55
2. Nach § 2 Abs. 1 1. Alt. OEG sind Leistungen zwingend zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat (1. Alt.), oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in seinem eigenen Verhalten liegenden Gründen unbillig wäre (2. Alt.), Entschädigung zu gewähren. Als Sonderfall der Unbilligkeit (2. Alt.) ist die 1. Alt. der Vorschrift – Mitverursachung – stets zuerst zu prüfen (BSGE 88, 96; vgl. auch BSGE 84, 54).
Rdn 56
aa) Eine Mitverursachung im Sinne einer vorwerfbaren Selbstgefährdung nach der 1. Alternative des § 2 OEG kann nur angenommen werden, wenn das Verhalten des Opfers eine wesentliche Bedingung neben dem Beitrag des rechtswidrig handelnden Angreifers darstellt; der Geschädigte also einen Beitrag zur Tat geleistet hat, der nach Umfang und Bedeutung dem des rechtswidrig handelnden Angreifers ungefähr vergleichbar ist (BSG NJW 1980, 2326; BSG NJW 1999, 1573). Dabei muss das Opfer zwar selbst keinen Straftatbestand erfüllen, sich aber leichtfertig durch eine unmittelbare, mit dem eigentlichen Tatgeschehen insbesondere zeitlich eng zusammenhänge Förderung der Tat selbst gefährdet haben. Gleiches gilt, wenn sich das Opfer einer konkret erkannten Gefahr leichtfertig nicht entzogen hat, ohne sozial nützlich oder sogar erwünscht zu handeln und obwohl ihm dies zumutbar und möglich gewesen wäre; also bspw. das spätere Opfer den Tatort nach vorangegangenen Tätlichkeiten nicht spätestens dann verlässt, als der Täter deutlich sichtbar ein Messer auf den Tisch legt und zum Einstellen des Streits aufruft (LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 29.4.2014 – L 6 VG 4545/13).
Zu einem durch eigenes Fehlverhalten begründeten Leistungsausschluss kann auch eine Person beitragen, die in einer so genannten Gewaltbeziehung lebt und die von ihrem Partner verletzt wird, und sich leichtfertig in die Gefahr einer Selbstschädigung begeben hat (LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v.14.5.2014 – L 13 VG 22/11).
Rdn 57
bb) Besonderheiten gelten in Fällen der Notwehr und der Putativnotwehr.
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Nach der BSG-Rechtsprechung sind dem Geschädigten Leistungen nach dem OEG nicht deshalb zu versagen, weil er einem rechtswidrigen Angriff in Notwehr begegnet ist und sein Handeln mit zu der Schädigung geführt hat (BSG NJW 1982, 596). |
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In einem Fall der Putativnotwehr schlug der Geschädigte seinen vermeintlichen Angreifer zunächst mit der Faust ins Gesicht. Daraufhin streckte dieser ihn zu Boden und trat den Geschädigten mit beschuhtem Fuß an den Kopf, wodurch er schwerwiegende Gesichtsverletzungen erlitt. Das BSG sprach dem Geschädigten eine Entschädigung nach dem OEG zu (BSG NStZ-RR 1997, 156). Handelte das Opfer in der Vorstellung, einen ihm vermeintlich drohenden Angriff abzuwehren, und verursachte es dadurch eine an ihm begangene Gewalttat i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 OEG, so braucht sein Verhalten selbst dann nicht wesentlich mitursächlich (§ 2 Abs. 1 1. Alt. OEG) für die Schädigung zu sein, wenn es dabei rechtswidrig und fahrlässig handelte. |
Rdn 58
cc) Klar verteilt sind die Beweislastregeln: Die Beweislast dafür, daß der Tatbeitrag des Gewaltopfers wesentlich mitursächlich für die Schädigung war, trifft den Versorgungsträger.
Rdn 59
3. Nach § 2 Abs. 1 S. 2. Alt. OEG kommt auch ein fakultativer Ausschluss in Betracht.
Eine Entschädigung kann insbesondere dann unbillig sein, wenn es aus dem im Verhalten des Opfers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.
Zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unbilligkeit im Sinne der 2. Alt. des § 2 Abs. 1 S. 1 OEG hat das BSG in ständiger Rechtsprechung (vgl. BSGE 98, 178; 83, 62; 89, 75) vier Fallgruppen gebildet:
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eine im Vorfeld der Tat liegende rechtsfeindliche Betätigung, mit der sich das spätere Opfer außerhalb der staatlichen Gemeinschaft stellt; |
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die sozialwidrige, mit speziellen Gefahren verbundene Zugehörigkeit zum Kreis der Alkohol- oder Drogenkonsumenten, wenn die Tat aus diesem Milieu entstanden ist; |
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das bewusste oder leichtfertige Eingehen einer Gefahr, der sich das Opfer ohne Weiteres hätte entziehen können, es sei denn, für dieses Verhalten läge ein rechtfertigender Grund vor und |
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eine durch die Versorgung entstehende Begünstigung des Täters. |
Siehe auch: → StrEG-Entschädigung, Ausschluss, Versagung, Teil I Rdn 634.