Verfahrensgang

ArbG Gera (Beschluss vom 09.08.1993; Aktenzeichen 4 BV 8/93)

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Gera vom 09.08.1993, Az.: 4 BV 8/93 wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligen streiten um das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts.

Die Beteiligte zu 1 (im folgenden: Arbeitgeberin) ist aus dem ehemaligen VEB D. hervogegangen und unterhielt ursprünglich drei Betriebe in G., R. und G. In dem Betrieb in Gr. waren zum Zeitpunkt der Umwandlung der Arbeitgeberin in ihre derzeitige Rechtsform 28 Arbeitnehmer beschäftigt. Ende 1991 erteilte die Treuhandanstalt als Gesellschafterin der Arbeitgeberin die Weisung, zur Erhöhung der wirtschaftlichen Attraktivität im Hinblick auf eine geplante Veräußerung Personal abzubauen. In der Folgezeit wurden daraufhin fünf Arbeitnehmer entlassen, ein Arbeitnehmer kündigte selbst. Am 17.09.1992 gingen die Geschäftsanteile an der Arbeitgeberin von der Treuhandanstalt auf einen neuen Gesellschafter, die WAZ-Gruppe über. Zum 28.02.1993 wurde der Betrieb in Gr. aufgelöst. Die zu diesem Zeitpunkt noch beschäftigten Arbeitnehmer wurden entweder entlassen oder in andere Betriebsstätten versetzt. Auf Antrag des Beteiligten zu 2 (im folgenden Betriebsrat) hat das Arbeitsgericht Gera im Verfahren 2 BV 3/93 eine Einigungsstellenvorsitzende bestimmt und die Anzahl der Beisitzer auf je zwei pro Seite festgelegt. Regelungsgegenstand der Einigungsstelle ist „Interessenausgleich Sozialplan bezüglich der Niederlassung der Beteiligten zu 2 in … Gr., …”

Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, daß ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats im Zusammenhang mit der Auflösung des Betriebes in Gr. nicht bestehe. Ein Sozialplan könne nicht erzwungen werden, weil die Arbeitgeberin am 24.09.1990 als GmbH im Aufbau und erst am 31.07.1992 als GmbH ins Handelsregister beim Kreisgericht Gera-Stadt eingetragen worden sei. Die Arbeitnehmer seien nach Verhandlungen freiwillig aufgrund von Aufhebungsverträgen und gegen Zahlung von Abfindungen unter Abgabe eines Klageverzichts ausgeschieden, ebenso wie der Vorsitzende des Betriebsrates selbst. Dessen Arbeitsverhältnis habe am 31.03.1993 geendet, nachdem er bereits Mitte Februar 1993 von der Arbeit freigestellt worden sei, sodaß der Betriebsrat für ein Einigungsstellenverfahren gar nicht mehr legitimiert sei. Der Betrieb habe zum Zeitpunkt der Übernahme der Geschäftsanteile nur 20 Arbeitnehmer beschäftigt. Soweit früher mehr Arbeitnehmer beschäftigt worden sein, seien die restlichen Arbeitnehmer zuvor aufgrund anderweiter Entscheidungen der früheren Gesellschafterin ausgeschieden. Die Auflösung des Betriebes sei erst nach der Übernahme aufgrund des unvorhergesehenen Ausbleibens bereits fest eingeplanter Aufträge beschlossen worden.

Die Arbeitgeberin hat daher beantragt,

festzustellen, daß seitens des beteiligten Betriebsrates in Zusammenhang mit der Auflösung der Niederlassung Gr. ein Mitbestimmungsrecht gem. §§ 111, 113 ff. BetrVG nicht besteht.

Der Betriebsrat hat demgegenüber beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, daß der Abschluß von Aufhebungsverträgen die Vereinbarung eines Sozialplanes zum Ausgleich von hierdurch entstehenden Nachteilen nicht hindere, ebensowenig ein Klageverzicht durch einzelne Arbeitnehmer. Bei der Neugründung der Arbeitgeberin handele es sich allenfalls um eine solche im Rahmen einer rechtlichen Umstrukturierung. Der Betriebsrat habe auch trotz der Auflösung des Betriebes und des Ausscheidens von Mitgliedern aus dem Arbeitsverhältnis ein Restmandat zum Abschluß eines Sozialplanes im Rahmen eines Einigungsstellenverfahrens. Der Betrieb der Arbeitgeberin in Gr. habe auch mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt. Dabei komme es nicht auf den Zeitpunkt an, zu dem die Stillegung beschlossen worden sei, sondern auf die regelmäßige Beschäftigtenzahl, die durch einen Rückblick festgestellt werden müsse. Diese habe stets deutlich über 20 Arbeitnehmern gelegen. Soweit bereits zuvor Personal abgebaut worden sei, sei auch dies zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens geschehen. Der Wechsel des Gesellschafters der Arbeitgeberin habe keinen rechtlichen Einfluß.

Das Arbeitsgericht Gera hat mit Beschluß vom 09.08.1993 den Antrag der Arbeitgeberin abgewiesen und dies wie folgt begründet:

Dem Betriebsrat stehe trotz Aufhebung des Betriebes ein Restmandat zum Abschluß von Interessenausgleich und Sozialplan zu. In der Betriebsstillegung liege eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung. Der Betrieb Gr. habe zum Zeitpunkt der Stillegungsentscheidung auch mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt. Auszugehen sei dabei nicht von der zufälligen tatsächlichen Beschäftigtenzahl zum betreffenden Zeitpunkt, sondern von der normalen Zahl der Beschäftigten, die für den Betrieb im allgemeinen kennzeichnend sei. Die Arbeitnehmerzahl, mit der der Betrieb wirtschaftlich arbeiten könne, sei nicht maßgeb...

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