Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung wegen MfS-Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Die außerordentliche oder ordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers nach dem Einigungsvertrag oder dem Kündigungsschutzgesetz wegen der Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit kann nicht auch (hilfsweise) auf die unvollständige oder wahrheitswidrige Ausfüllung eines Personalfragebogens gestützt werden, wenn gegenüber dem Personalrat bei seiner Anhörung vor Ausspruch der Kündigung diese Tatsache als Kündigungsgrund nicht angegeben worden ist.
2. Bei einer auf Abs. 5 Ziff. 2 EV gestützten Kündigung wegen MfS-Tätigkeit ist dem Personalrat im Rahmen des Anhörungsverfahrens auch darzulegen, aus welchen Gründen eine weitere Beschäftigung des Arbeitnehmers als unzumutbar erscheint.
3. Sowohl bei einer auf Abs. 5 Ziff. 2 EV gestützten außerordentlichen wie auch bei einer auf Art. 4 Ziff. 1 EV bzw. § 1 KSchG gestützten ordentlichen Kündigung wegen MfS-Tätigkeit darf der Arbeitgeber in analoger Anwendung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB den Ausspruch der Kündigung zeitlich nicht unangemessen lange hinauszögern, sondern muß die Kündigung unter der Berücksichtigung des Gewichts der Kündigungsgründe möglichst alsbald nach der vollständigen Kenntnis der Kündigungstatsachen aussprechen.
Ein nicht durch besondere Umstände bedingtes Hinausschieben der Kündigung um mehr als 8 Wochen nach Vorlage des Gauck-Berichtes ist zumindest bei nichtschwerwiegenden Kündigungsgründen nicht mehr tragbar.
Normenkette
EV Art. 5 Ziff. 2; BGB § 626; ThürPVS § 78
Verfahrensgang
ArbG Suhl (Urteil vom 23.01.1995; Aktenzeichen 5 Ca 2277/94) |
Tenor
Es ergeht folgendes
Urteil:
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl vom 23.01.1995 – 5 Ca 2277/94 – abgeändert.
2. Es wird festgestellt, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche Kündigung vom 08.08.1994 am 31.08.1994 noch durch die ordentliche Kündigung vom 13.10.1994 mit Ablauf der Kündigungsfrist am 30.06.1995 aufgelöst worden ist.
3. Von den erstinstanzlichen Kosten trägt der Beklagte 3/4 und die Klägerin 1/4; die zweitinstanzlichen Kosten trägt der Beklagte.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen und einer hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung, die der Beklagte unter Berufung auf Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 der Anlage I zum Einigungsvertrag (künftig Abs. 5 Ziff. 2 EV) am 08.08.1994 bzw. 13.10.1994 ausgesprochen hat.
Die Kündigungen wurden auf die im Bericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vom 05.04. bzw. 25.04.1994 enthaltenen Unterlagen über eine Zusammenarbeit der Klägerin, die seit 1974 im Klinikum S. bzw. dem Bezirkskrankenhaus S. als Ärztin, seit 1990 als Oberärztin tätig war, mit dem Ministerium für Staatssicherheit gestützt.
Der Bericht der Gauck-Behörde wurde nach einem handschriftlichen Vermerk (vgl. Bl. 156 d. A.) am 28.04.1994 vom Thüringer Ministerium … S. G. übernommen. Am 10.05.1994 fand ein Personalgespräch statt (vgl. Protokoll Bl. 177 ff d. A.), in dem die Klägerin die ihr gegenüber erhobenen Vorwürfe einräumte.
Mit Schreiben vom 01.08.1994 wurde der Hauptpersonalrat beim Thüringer Ministerium … S. G. über die beabsichtigte außerordentliche Kündigung informiert; zum Inhalt des Anhörungsschreibens wird auf Bl. 44 ff d. A. verwiesen. Am 03.08.1994 fand eine Erörterung zwischen dem Leiter der Zentralabteilung und dem Hauptpersonalrat statt, in der der Leiter der Zentralabteilung über die eingereichten Angaben hinausgehende Fragen beantwortete und eine Einsichtnahme in die Personalakte der Klägerin sowie den Bericht der Gauck-Behörde ermöglichte. Der Hauptpersonalrat stimmte der Kündigung mit Beschluß vom gleichen Tag zu.
Mit Schreiben vom 09.09.1994, wegen dessen Inhalt auf Bl. 60 ff d. A. verwiesen wird, wurde der Hauptpersonalrat zur beabsichtigten hilfsweise ordentlichen Kündigung angehört. Am 28.09.1994 fand eine Erörterung zwischen dem Leiter der Zentralabteilung und dem Hauptpersonalrat statt, bei der wegen des gleichen Kündigungssachverhaltes kein Fragebedürfnis des Hauptpersonalrats mehr bestand. Mit Beschluß vom gleichen Tage erklärte der Hauptpersonalrat, daß er sich zu dem Antrag nicht äußern möchte.
Wegen des erstinstanzlichen Parteivertrages, wegen der gestellten Anträge und wegen der vom Gericht getroffenen Feststellungen wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Suhl vom 23.01.1995 gem. § 543 Abs. 1 ZPO Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht Suhl hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt:
Die außerordentliche Kündigung sei rechtswirksam und habe zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit ihrem Zugang geführt, weil die Klägerin – wenn auch nicht intensiv und nur kurze Zeit – für das MfS tätig gewesen sei und weil es für das beklagte Land vor allem deshalb unzumutbar sei, sie weiterzubeschäftigen, weil die Klägerin die...