Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterlassungsanspruch des Betriebsrats bei Betriebsänderung
Leitsatz (amtlich)
1) Dem Betriebsrat steht ein Anspruch auf Unterlassung einer Betriebsänderung bis zum Abschluss der Verhandlungen über einen Interessenausgleich zu. Der Verhandlungsanspruch des Betriebsrats ist ggf. im Wege einer Unterlassungsverfügung zu sichern (Bestätigung der Kammerrechtsprechung – vgl. Beschluss vom 26.09.2000 – 1 TaBV 14/2000).
2) Ermittlung der regelmäßigen Belegschaftsstärke bei Personalabbau in Stufen – hier Sonderproblem: Schwellenwert des § 111 Abs. 1 Satz 1 BetrVG bezieht sich nach der Novellierung nicht mehr auf die im Betrieb, sondern auf die im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer.
Normenkette
BetrVG §§ 111-112
Verfahrensgang
ArbG Suhl (Beschluss vom 28.07.2003; Aktenzeichen 6 BVGa 3/03) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Suhl vom 28.07.2003, Az.: 6 BVGa 3/03, abgeändert.
2. Der weiteren Beteiligten zu 1) wird aufgegeben, es zu unterlassen, im Rahmen der geplanten Betriebsänderung in Form der beabsichtigten Betriebs(teil)stillegung betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen bzw. durchzuführen, bis die Verhandlungen über einen Interessenausgleich entsprechend § 112 Abs. 1 und 2 BetrVG, ggf. einschließlich der Verhandlungen in der Einigungsstelle, abgeschlossen oder gescheitert sind, längstens jedoch bis 30.11.2003.
3. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen diese Unterlassungsverfügung wird der weiteren Beteiligten zu 1), zu vollstrecken an einem ihrer Geschäftsführer, ein Ordnungsgeld bis zu einer Höhe von 250.000,00 EUR angedroht.
Tatbestand
I)
Die Beteiligten streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über ein Unterlassungsbegehren des antragstellenden Betriebsrats.
Beim beteiligten Arbeitgeberunternehmen, der weiteren Beteiligten zu 1) (im Folgenden: Arbeitgeberin), waren zunächst 29 Arbeitnehmer beschäftigt. Am 18.03.2003 unterrichtete die Arbeitgeberin den Betriebsrat darüber, dass zehn Arbeitnehmer von sich aus das Arbeitsverhältnis gelöst hätten. Der Betriebsrat stellte fest, dass diese Arbeitnehmer nunmehr für ein neu gegründetes Unternehmen, nämlich die A. GmbH & Co. KG, die weitere Beteiligte zu 2), tätig waren. Sie sind an ihren bisherigen Arbeitsplätzen für die gleiche Arbeit eingesetzt, die sie bisher für die beteiligte Arbeitgeberin verrichtet hatten. Die bisherige Arbeitgeberin stellt die Werkzeuge. Auch die Lohnabrechnungen werden von ihr vorgenommen. Zwei der drei Geschäftsführer des neu gegründeten Unternehmens sind mit den beiden Geschäftsführern der beteiligten Arbeitgeberfirma personenidentisch. Die neu gegründete Firma hat vier weitere Arbeitnehmer zusätzlich eingestellt.
Die beteiligte Arbeitgeberin hat mit dem Antragsteller Betriebsvereinbarungen über die Einführung von Kurzarbeit für die Zeit vom 01.03.2003 bis 30.06.2003 und sodann für die Zeit vom 01.07.2003 bis 30.09.2003 abgeschlossen. Die zuletzt abgeschlossene Betriebsvereinbarung vom 26.06.2003 hat die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 21.07.2003, dem Antragsteller zugegangen am 22.07.2003, fristlos gekündigt mit der Begründung, die für die Zeit ab 01.10.2003 erwarteten Aufträge seien nicht hereingekommen, sie habe daher den Entschluss gefasst, die Gesellschaft zum 01.08.2003 zu liquidieren. Ebenfalls am 22.07.2003 erhielt der Antragsteller ein Schreiben der Arbeitgeberin ohne Datum, durch das ihm mitgeteilt wurde, es sei beabsichtigt, den in der beigefügten Anlage aufgeführten 17 Arbeitnehmern betriebsbedingt fristlos, vorsorglich ordentlich, zu kündigen.
Der Antragsteller forderte durch Anwaltsschreiben vom 25.07.2003 die Arbeitgeberin auf, zu erklären, dass bis zum Abschluss eines Interessenausgleichs bzw. bis zum endgültigen Scheitern der entsprechenden Verhandlungen keine betriebsbedingten Kündigungen ausgesprochen werden. Die Arbeitgeberin ließ durch ihre Verfahrensbevollmächtigte lediglich mitteilen, dass zumindest bis 31.07.2003 keine Kündigungen ausgesprochen werden.
Der Antragsteller hat seine Behauptungen durch Vorlage von Urkunden glaubhaft gemacht.
Der Antragsteller hat mit Antrag vom 25.07.2003, beim Arbeitsgericht eingegangen am gleichen Tage, beantragt,
im Wege der einstweiligen Verfügung wegen Dringlichkeit ohne mündliche Anhörung der Beteiligten, hilfsweise unter Abkürzung der Einlassungs- und Ladungsfristen auf das gesetzliche Mindestmaß, sofort Termin zu bestimmen und der Arbeitgeberin zu untersagen, im Rahmen der geplanten Betriebsänderung in Form der beabsichtigten Betriebs(teil)stillegung betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen bzw. durchzuführen, bis die Verhandlungen über einen Interessenausgleich entsprechend § 112 Abs. 1 und 2 BetrVG, ggf. einschließlich der Verhandlungen in der Einigungsstelle, abgeschlossen oder gescheitert sind und der Arbeitgeberin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehende Verpflichtung ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, zu vollziehen an den Geschäftsführern...