Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Bestimmung der billigen anwaltlichen Gebühr. Verfahrensgebühr. Prüfung der Umstände des Einzelfalls. Terminsgebühr. Terminsdauer
Leitsatz (amtlich)
Die Rechtsansicht, bei rechtswahrend erhobenen Klagen bestehe grundsätzlich ein Anspruch auf eine Verfahrensgebühr in Höhe von 60 vH der Mittelgebühr ohne Begründung des Einzelfalls, widerspricht offensichtlich der eindeutigen Regelung in § 14 Abs 1 RVG.
Angesichts des klaren Wortlauts des § 14 Abs 1 RVG kommt es für die Bemessung der Terminsgebühr Nr 3106 VV-RVG nicht nur auf die Dauer der Verhandlung an (vgl ua LSG Erfurt vom 11.11.2013 - L 6 SF 230/13 B; LSG München vom 1.4.2015 - L 15 SF 259/14 E = DStR 2015, 2463). Vielmehr sind daneben alle anderen Kriterien des § 14 RVG zu berücksichtigen.
Tenor
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 11. Februar 2015 aufgehoben und die dem Beschwerdegegner aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung für das Verfahren S 28 AS 3631/08 auf 309,64 Euro festgesetzt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Verfahren beim Sozialgericht Nordhausen (S 28 AS 3631/08) streitig. Die beiden vom Beschwerdegegner vertretenen Kläger wandten sich gegen einen Bescheid des beklagten Jobcenters hinsichtlich der Höhe der gewährten Leistungen, machten eine unzureichende Bescheidbegründung, eine fehlerhafte Berechnung der Kosten der Unterkunft (KdU) und der Einkommensanrechnung sowie eine Nichtberücksichtigung der Rundungsregelung geltend. Zudem seien ihnen fehlerhaft die Kosten der Rechtsverfolgung des Widerspruchsverfahrens nicht zugesprochen worden. Das Sozialgericht verhandelte das Verfahren mit 13 weiteren Verfahren der Kläger im Erörterungstermin am 3. Februar 2011 (9:56 bis 17:40 Uhr). Dort bewilligte es der Klägerin zu 1. Prozesskostenhilfe (PKH) ohne Ratenzahlung und ordnete den Beschwerdegegner bei. Nach der Niederschrift schlossen die Beteiligten folgenden Vergleich:
“1. Die Beklagte zahlt an die Kläger einen Betrag in Höhe von 0,33 €. Die Zahlung erfolgt unmittelbar auf das gemeinsame Konto der Kläger.
2. Die Kläger verzichten ihrerseits auf eine formelle Neuverbescheidung.
3. Die Beklagte trägt ¼ der Kosten des Vorverfahrens mit der Nr. 10117/08. Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten wird in diesem Zusammenhang für notwendig anerkennt. Im Übrigen findet eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Kläger nicht statt.
4. Damit ist der Rechtsstreit erledigt.„
Mit Beschluss vom 18. Februar 2011 gewährte das Sozialgericht auch dem Kläger zu 2. PKH ohne Ratenzahlung und ordnete den Beschwerdegegner bei.
In seinem Antrag vom 23. März 2011 beantragte dieser für das Verfahren die Festsetzung folgender Vergütung:
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Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV-RVG |
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170,00 Euro |
Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV-RVG |
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51,00 Euro |
Terminsgebühr Nr. 3106 VV-RVG |
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200,00 Euro |
Einigungsgebühr Nr. 1006, 1005 VV-RVG |
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190,00 Euro |
Fahrt- und Abwesenheitsgeld |
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6,77 Euro |
Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV-RVG |
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20,00 Euro |
Zwischensumme |
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637,77 Euro |
Umsatzsteuer |
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121,17 Euro |
Gesamtbetrag |
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758,94 Euro |
Mit Beschluss vom 29. Februar 2012 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) den auszuzahlenden Betrag auf 200,38 Euro fest:
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Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV-RVG |
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40,00 Euro |
Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV-RVG |
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12,00 Euro |
Terminsgebühr Nr. 3106 VV-RVG |
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60,00 Euro |
Einigungsgebühr Nr. 1006, 1005 VV-RVG |
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30,00 Euro |
Fahrt- und Abwesenheitsgeld |
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6,39 Euro |
Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV-RVG |
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20,00 Euro |
Zwischensumme |
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168,39 Euro |
Umsatzsteuer |
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31,99 Euro |
Gesamtbetrag |
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200,38 Euro. |
Für die Verfahrensgebühr sei die doppelte Mindestgebühr angemessen. Die Bedeutung der Angelegenheit für die Kläger und Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit seien unterdurchschnittlich gewesen. Angesichts eines Parallelverfahrens mit identischer Rechtslage habe komplett auf dessen Sachverhalt zurückgegriffen werden können. Die Gebühr sei um 0,3 zu erhöhen. Bei der Terminsgebühr seien die zahlreichen identischen Parallelverfahren zu berücksichtigen. Bei der Einigungsgebühr sei die Mindestgebühr wegen der unterdurchschnittlichen Anforderungen an die anwaltliche Tätigkeit angemessen. Aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes und der damit verbundenen umfassenden gerichtlichen Hinweise sei die normale mit einem Vergleichsabschluss einhergehende anwaltliche Tätigkeit erheblich verringert gewesen.
Der Beschwerdegegner hat am 30. März 2012 Erinnerung eingelegt. Gegenstand des Verfahrens seien Grundsicherungsleistungen gewesen. Damit sei die Bedeutung der Angelegenheit für die Mandantschaft weit überdurchschnittlich. Schwierigkeit und Intensität der anwaltlichen Tätigkeit seien zumindest durchschnittlich gewesen. Hinsichtlich der Terminsgebühr sei zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Thüringer Landessozialgeri...