Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. anwaltliche Tätigkeit. Vorliegen "derselben Angelegenheit" iS des Gebührenrechts: Nach § 96 SGG zum Gegenstand des Klageverfahrens gewordene Bescheide. überflüssiger Aufwand: Klageerhebung gegen die inhaltlich richtige Verwerfung von Widersprüchen gegen Bescheide mit fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung. Erledigungsgebühr bei Annahme eines Teilanerkenntnisses und Erledigungserklärung im Übrigen
Leitsatz (amtlich)
1. Dieselbe Angelegenheit iS des § 15 Abs 2 RVG liegt bei Bescheiden, die nach § 96 SGG automatisch Gegenstand eines Klageverfahrens werden, immer vor.
2. Hat die Beklagte inhaltlich richtig Widersprüche gegen Bescheide mit fehlerhafter Rechtsmittelbelehrung als unzulässig zurückgewiesen, besteht bei klarer Rechtslage aus anwaltlicher Sorgfaltspflicht keine Veranlassung, dagegen Klage zu erheben.
3. Eine Erledigungsgebühr fällt an, wenn der Rechtsanwalt ein Teilanerkenntnis annimmt und im Übrigen den Rechtsstreit für erledigt erklärt, sofern er auf diese Erledigung hingewirkt hat (vgl LSG Erfurt vom 27.1.2015 - L 6 SF 1533/14 B; vom 24.11.2014 - L 6 SF 1078/14 B; und vom 8.5.2012 - L 6 SF 466/12 B). Ein Teilanerkenntnis ist auch allein hinsichtlich der zu erstattenden Kosten möglich (vgl BSG vom 26.3.1992 - 7 RAr 104/90 = SozR 3-1500 § 193 Nr 4).
Tenor
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 16. Dezember 2014 aufgehoben und die Gebühren der Beschwerdeführerin in dem Verfahren S 25 AS 5988/10 auf 603,93 Euro festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Gotha (SG) streitig (S 25 AS 5988/10). Dort hatte sich der von der Beschwerdeführerin vertretene Kläger am 5. August 2010 gegen die Höhe der Leistungen für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2010 im Bescheid der Beklagten - einer … Grundsicherung - vom 15. April 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Juli 2010 gewandt und allgemein mit einer fehlerhaften Berechnung der Kosten der Unterkunft und einem Verstoß gegen die Rundungsvorschrift des § 41 Abs. 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) begründet. Unter dem 17. Februar 2011 begehrte er im Verfahren zusätzlich die Übernahme von Aufwendungen für ein Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2011) gegen einen Aufhebungsbescheid vom 20. Oktober 2010 (wegen Wegfalls der Hilfebedürftigkeit ab 13. September 2010) und führte aus, er habe aus Gründen der anwaltlichen Sorgfaltspflicht wegen der (fehlerhaften) Rechtsbehelfsbelehrung gegen den Bescheid vorsorglich gesondert vorgehen müssen. Am 21. Februar 2011 erhob die Beschwerdeführerin für den Kläger weitere Klagen:
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S 25 AS 1191/11: Kostenerstattung für das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 20. Oktober 2010 (Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2011); |
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S 25 AS 1192/11: Ablehnung eines Antrags auf einen Zuschuss zu Kosten für Unterkunft und Heizung mit Bescheid vom 20. Oktober 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Januar 2011; |
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S 25 AS 1193/11: Aufhebung der Leistungen für die Zeit vom 13. September bis 31. Oktober 2010 und Rückforderung von 738,80 Euro mit Bescheid vom 25. November 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Januar 2011; |
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S 25 AS 1194/11: Bescheid vom 25. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Januar 2011 hinsichtlich der Höhe der Leistungen vom 12. November 2010 bis 31. Mai 2011. |
Im Erörterungstermin vom 1. Februar 2012 verhandelte das SG von 10:35 Uhr bis 11:47 Uhr folgende Verfahren des Klägers: S 25 AS 5988/10, S 25 AS 8646/10 (Rücknahme von Bescheiden für die Zeit 1. Januar 2007 bis 30. November 2009), S 25 AS 1191/11, S 25 AS 1192/11, S 25 AS 1193/11, S 25 AS 1194/11. Im Verfahren S 25 AS 5988/10 bewilligte es dem Kläger Prozesskostenhilfe (PKH) und ordnete die Beschwerdeführerin bei. Nach der Niederschrift wies die Kammervorsitzende danach darauf hin, dass die Rechtsbehelfsbelehrungen „in den Bescheiden vom 20. Oktober und vom 25. November 2010“ falsch waren, weil beide Bescheide Gegenstand des Klageverfahrens S 25 AS 5988/10 geworden waren. Daraufhin erklärte sich die Vertreterin der Beklagten bereit, die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Verfahren S 25 AS 5988/10 zu 1/3 zu tragen. Der Kläger nahm nach der Niederschrift das „Kostenanerkenntnis“ an, erklärte den Rechtsstreit für erledigt und nahm die Klagen S 25 AS 1191/11 und S 25 AS 1193/11 zurück und anschließend auch die Klage S 25 AS 1192/11 zurück.
In ihrer „PKH-Abrechnung“ vom 22. Februar 2012 machte die Beschwerdeführerin für das Klageverfahren S 25 AS 5988/10 Gebühren in Höhe von 868,70 Euro geltend:
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Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3103 VV-RVG §§ 45, 49 RVG (Erhöhung wegen zwei weiteren Verfahren S 25 AS 1191/11, S 25 AS 1193/11) |
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320,00 Euro |
Terminsgebühr 3106 VV-RVG, §§ 45, 49 RV... |