Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Sozialdatenschutz. Entfernung eines vom Leistungsträger übermittelten psychologischen Gutachtens aus der Gerichtsakte. unzulässiger Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wegen fehlender Widerspruchseinlegung. Eingliederungsvereinbarung ersetzender Verwaltungsakt. individuell zugeschnittene konkrete Eingliederungskonzeption. Grundsicherung für Arbeitsuchende
Leitsatz (amtlich)
Bei der Entfernung von durch Leistungsträger übermittelten Sozialdaten aus der Gerichtsakte handelt es sich um einen verfahrensrechtlichen Anspruch, der im Zusammenhang mit dem jeweiligen Hauptsacheverfahren geltend zu machen ist. Über diesen entscheidet das Gericht durch Beschluss. Anspruchsgrundlage ist § 84 Abs 2 SGB 10, solange es um durch in § 35 SGB 1 genannte Stellen übermittelte Daten geht, weil § 78 SGB 10 den Anwendungsbereich der SGB 10-Normen auf in § 35 SGB 1 nicht genannte Stellen wie Gerichte, an die Daten befugt übermittelt werden, erweitert.
Orientierungssatz
1. Zur Frage, wann sich der Löschungsanspruch nicht nur auf die Unkenntlichmachung einzelner unzulässig erhobener Sozialdaten in einem Gutachten beschränkt, sondern das vollständige Gutachten aus der Gerichtsakte zu entfernen ist.
2. Frühester Zeitpunkt für einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist der Zeitpunkt der Einlegung des Widerspruchs bzw, wenn ein Widerspruchsverfahren nicht stattfindet, mit Erhebung der Klage.
3. Eine Eingliederungsvereinbarung genügt den gesetzlichen Vorgaben nur, wenn sie auf einer individuell zugeschnittenen konkreten Eingliederungskonzeption beruht. Verdeutlicht wird das auch dadurch, dass bei jeder neuen Eingliederungsvereinbarung die bisher gewonnenen Erfahrungen zu berücksichtigen sind und die Dauer der Regelung nur sechs Monate betragen soll, um frühzeitig die Eingliederungskonzeption anpassen zu können.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 10. September 2014 geändert. Das Gutachten vom 19. Juli 2011 wird aus der Gerichtsakte entfernt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat 1/10 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für beide Rechtszüge zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen auferlegte Obliegenheiten aus einem die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt nach § 15 Abs. 1 S. 6 SGB II (Eingliederungs-VA) vom 15. August 2014 für den Geltungszeitraum vom 15. August 2014 bis 14. Februar 2015, zukünftige Eingliederungsvereinbarungen des Antragsgegners sowie ein der Eingliederungsvereinbarung vom 15. August 2014 zugrunde liegendes Gutachten. Darüber hinaus begehrt er die Entfernung eines von dem Antragsgegner im erstinstanzlichen Verfahren dem Gericht übersandten psychologischen Gutachtens vom 19. Juli 2011.
Der Antragsteller erhält laufend Arbeitslosengeld II von dem Antragsgegner. Nach eigenen Angaben programmiert er seit 2007 ein Internetportal, um in Zukunft auf dieser Grundlage eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufnehmen zu können.
Im Rahmen eines persönlichen Gesprächs zwischen den Beteiligten am 14. August 2014 konnte ein Einvernehmen zur Eingliederung des Antragstellers in den Arbeitsmarkt nicht erreicht werden.
Der Antragsgegner erließ daraufhin am 15. August 2014 einen die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt für die Zeit vom 15. August 2014 bis 14. Februar 2015.
In der Eingliederungsvereinbarung, die eine Aufnahme einer versicherungspflichtigen Arbeit am regionalen Arbeitsmarkt zum Ziel hat, sind folgende Obliegenheiten für den Antragsteller sinngemäß aufgeführt:
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Wahrnehmung sämtlicher Einladungen/ Termine bei der zuständigen Vermittlerin des Antragsgegners |
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Nutzung aller vorhandenen Möglichkeiten zur Stellensuche |
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zwei Bewerbungen im Turnus von vier Wochen |
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Bewerbungen innerhalb von drei Tagen ab Erhalt eines Stellenangebots |
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Annahme jeder zumutbaren Arbeit |
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Nachweis von Bewerbungsbemühungen bei Beratungsterminen mit Arbeitsvermittlern |
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Erfüllung der Eingliederungsvereinbarung |
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Unverzügliche Anzeige von Änderungen der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und der Arbeitsunfähigkeit |
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Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung innerhalb von drei Tagen |
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Rechtzeitige Beantragung von Ortsabwesenheit. |
Daneben sind folgende Pflichten für den Antragsgegner sinngemäß benannt:
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Veranlassung der Erstellung eines Ablehnungsbescheides auf Leistungen nach § 16c SGB II |
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vorrangige Vermittlung in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis |
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Besprechung der Notwendigkeit zur Festlegung eines vermittlungsunterstützenden Angebotes zum Folgetermin |
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bei Erforderlichkeit Veranlassung eines ärztlichen bzw. psychologischen Gutachtens zur Beurteilung, mit welchen Tätigkeitsfeldern und mit welchen Einschränkungen der Antragsteller dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen könnte |
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Unterbreitung von Vermittlungsvorschlägen soweit geeignete Stellenangebote vorliegen |