Entscheidungsstichwort (Thema)
Weitergewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit. Beweisaufnahme. berufskundliches Gutachten. Sachverständiger. Ablehnung. Befangenheit. Fristablauf. nachträgliche Ablehnung. Zulässigkeit. sozialgerichtliches Verfahren
Orientierungssatz
Die nachträgliche Ablehnung eines Sachverständigen nach § 406 Abs 2 S 2 ZPO ist jedenfalls nach mehr als einem Monat nicht mehr unverzüglich und somit unzulässig (vgl OLG Koblenz vom 29.6.1998 - 3 U 1078/95 = NJW-RR 1999, 72; OLG Düsseldorf vom 12.9.1997 - 22 W 48/97 = NJW-RR 1998, 933).
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Weitergewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise Berufsunfähigkeit.
Der Kläger bezog aufgrund eines außergerichtlichen Vergleichs eine auf den Zeitraum vom 1. April 1993 bis 31. März 1996 befristete Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Den Antrag auf Weitergewährung der Rente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. Mai 1997 ab. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21. April 1998).
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 1. Juli 1999 abgewiesen.
Auf die Berufung des Klägers hat der Senat ein Gutachten der berufskundlichen Sachverständigen H. J. vom 21. Juli 2001 eingeholt. Den Beteiligten wurde eine Kopie mit richterlicher Verfügung vom 2. August 2001 übersandt. Nach Angaben des Klägers vom 20. März 2002 ist ihm diese am 15. August 2001 zugegangen.
Mit Schriftsatz vom 24. September 2001, dem Senat am 27. September 2001 zugegangen, hat der Kläger die Sachverständige mit der Begründung abgelehnt, ihr Gutachten zeige eine unsachliche und negative innere Einstellung und diskriminiere ihn. Dass die Beklagte die Erstellung eines berufskundlichen Gutachtens beantragt habe, eine Sachverständige aus M.-V. benannt worden sei, diese im Gutachten keine Aussage getroffen habe, in wessen Auftrag sie tätig werde und eine "Berufung auf einen geleisteten Eid" bzw. eine entsprechende schriftliche Erklärung fehle, gebe Anlass zur Vermutung, dass eine einseitige Interessenvertretung durch die Sachverständige vorliege.
Die Sachverständige J. hat mit Schriftsatz vom 25. Dezember 2001 erklärt, sie halte sich für nicht befangen.
Der Kläger beantragt,
die berufskundliche Sachverständige H. J. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.
Die Beklagte hat sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Der Ablehnungsantrag ist unzulässig, weil er nicht fristgerecht eingelegt worden ist.
Nach § 118 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. §§ 406 Abs. 1 Satz 1, 42 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein gerichtlich bestellter Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Der Ablehnungsantrag ist nach § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO bei dem Gericht oder Richter, von dem der Sachverständige ernannt ist, vor seiner Vernehmung zu stellen, spätestens jedoch zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung.
Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen (§ 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Dies trifft grundsätzlich zu, wenn der Antragsteller - wie hier - den Ablehnungsgrund aus dem Inhalt des Gutachtens herleitet (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 6. Auflage 1998, § 118 Rn. 12m; Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 22. Auflage 2001, § 406 Rn. 11).
In diesem Fall ist der Ablehnungsantrag ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -), d.h. innerhalb einer den Umständen des Einzelfalls angepassten Prüfungs- bzw. Überlegungsfrist zu stellen (vgl. OLG Koblenz in NJW-RR 1999, S. 72, 73; OLG Düsseldorf in NJW-RR 1998, S. 933, 934; Leipold in Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 21. Auflage 1999, § 406 Rdnr. 19). Meyer-Ladewig a.a.O.; Greger in Zöller, a.a.O.) und zwar unabhängig von der Prozesslage (vgl. OLK Koblenz, a.a.O.). Der Senat geht mit der überwiegenden Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass eine nachträgliche Ablehnung nach § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO jedenfalls nach mehr als einem Monat nicht mehr unverzüglich ist (vgl. OLG Koblenz, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.; Leipold in Stein-Jonas, a.a.O.). Der Monatszeitraum entspricht dem Ziel des Rechtspflege-Vereinfachungsgesetzes, das Ablehnungsverfahren zu straffen und berücksichtigt die zeitlichen Anforderungen an Einwände gegen die Behandlung der Sachfrage im Gutachten nach § 411 Abs. 4 ZPO (vgl. BT-Drucksache 11/3621, S. 74).
Hier lag zwischen dem vorgetragenen Eingang des Gutachtens beim Antragsteller am 15. August 2001 und dem Antragseingang beim Senat am 27. September 2001 ein Zeitraum von ca. sechs Wochen und somit weit mehr als ein Monat.
Gründe für die Einräumung einer längeren Überlegungsfrist sind nicht ersichtlich und von dem Kläger auch nicht glaubhaft gemacht (§ 406 Abs. 2 Sat...
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