Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistung. Grundleistung. Anspruchseinschränkung nach § 1a Nr 2 AsylbLG. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift des § 1a Nr 2 AsylbLG bestehen auch unter Berücksichtigung des Urteils des BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10 ua = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 nicht.

2. Wenn der Leistungsberechtigte es selbst in der Hand hat, die Kürzung zu beenden (zB durch die Mitwirkung bei der Beschaffung von Passpapieren), erscheint es auch verhältnismäßig, wenn die Kürzung bei unverändertem Verhalten über mehrere Jahre andauert.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 11. Oktober 2012 aufgehoben und der Antrag auf einstweilige Anordnung zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für beide Instanzen nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin (Ast) begehrt höhere Leistungen nach § 3 AsylbLG.

Nach eigenen Angaben reiste die (ebenfalls nur laut ihren Angaben) 1981 geborene Ast am 18. November 2009 aus Moskau auf dem Luftweg mit gefälschtem Pass und mittels Schlepper in Deutschland ein. Nach Ablehnung des Asylantrags durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als offensichtlich unbegründet und Feststellung, dass Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG nicht vorläge, sowie nach Ablehnung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz gegen die Abschiebeandrohung durch das VG Weimar (Beschluss vom 24. Februar 2010 - 7 E 20012/10 WE), war sie seit dem 24. Februar 2010 vollziehbar ausreisepflichtig. Unter dem 28. August 2012 wies das VG Weimar auch die gegen die Ablehnung des Asylantrags gerichtete Klage als unbegründet ab (7 K 20011/10 We). Die Ausreise der Ast konnte bis heute aufgrund fehlender Indentitätspapiere nicht vollzogen werden.

Nach Zuweisung an die Gemeinschaftsunterkunft G. bewilligte die Antragsgegnerin (Agg) mit Bescheid vom 13. Januar 2010 für den Monat Januar 2010 Leistungen nach § 3 AsylbLG; Zahlungen, die der erstmaligen Leistung folgen, stellten eine Weiterbewilligung der Leistung für den jeweiligen Monat dar. Mit derselben Ergänzung bewilligte sie unter dem 29. April 2010 für Mai 2010 Leistungen, nunmehr eingeschränkt nach § 1a AsylbLG auf Wertgutscheine im Wert von 140,61 Euro für Ernährung, Haushaltsmittel von geringem Wert und Putzmittel. Daneben gewährte sie Energie (zusammen mit Unterkunft kostenlos in der Gemeinschaftsunterkunft) und Bekleidung als Sachleistung (Gesamtwert 224,97 Euro ohne Unterkunft).

In der Folge wurde die Ast wiederholt aufgefordert, sich im russischen Generalkonsulat in L. vorzustellen; dem kam sie nach Gestellung einer Fahrkarte am 16. Juni 2010 nach, ohne dass es dabei zur Klärung ihrer Identität kam. In der Ausländerakte findet sich der Vermerk, sie habe geschlafen bzw. sei auf dem Stuhl zusammengesackt; ein Gespräch sei schwer zu führen gewesen. Es wurde vermutet, dass falsche Angaben gemacht wurden.

Mit Bescheid vom 9. August 2012 setzte die Agg für den Monat August Leistungen nach § 1a AsylbLG in Höhe von 149 Euro in Form der Gewährung von Wertgutscheinen für Ernährung, Bekleidung, Energie und Pflegemittel fest; Zahlungen, die der erstmaligen Leistung folgen, stellten eine Weiterbewilligung der Leistung für den jeweiligen Monat dar. Auf Widerspruch der Ast wurde unter dem 20. September 2012 für August 2012 zusätzlich ein Barbetrag in Höhe von 23,08 Euro gewährt. Mit weiterem Bescheid vom 29. August wurden für September 2012 Gutscheine im Wert von 149 Euro und ein Barbetrag in Höhe von 23,10 Euro gewährt und mit Bescheid vom 24. September 2012 wurden für den Monat Oktober 2012 Gutscheine im Wert von 149,31 Euro und ein Barbetrag von 23,08 Euro gewährt. In den künftigen monatlichen Leistungen sollten ebenfalls Weiterbewilligungen liegen. Gegen jeden Bescheid legte die Ast Widerspruch mit dem Ziel ein, unter Berufung auf die Entscheidung des BVerfG von 2012 ungekürzte Leistungen zu erhalten; besonders der ungekürzte Barbetrag gehöre zum grundgesetzlich garantierten menschenwürdigen Existenzminimum.

Unter dem 21. September 2012 hat die Ast Klage zum SG Altenburg erhoben (S 21 AY 3363/12) und zugleich die Verpflichtung der Agg im Wege der einstweiligen Anordnung begehrt, ungekürzte Leistungen nach § 3 AsylbLG zu erbringen, hilfsweise aber eingeschränkte, die nicht ihre Rechte verletzten. Eine allein migrationspolitisch motivierte Absenkung von Leistungen sei nach der Rspr. des BVerfG nicht zulässig und verletzte ihre Menschenwürde.

Unter dem 19. Oktober hat die Agg die Widersprüche zurückgewiesen und dazu ausgeführt, die Identität der Ast sei bis heute nicht geklärt. Infolge ihrer mangelnden Mitwirkung sei eine Klärung bisher nicht möglich gewesen und damit die Beschaffung eines Passes bzw. von Passersatzpapieren. Daher sei die Leistung gekürzt worden. Mit seinem Urteil vom 18. Juli 2012 (1 BvR 10/10) habe das BVerfG die Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG nicht berührt, andernfalls wären auch in anderen Fürsorgesystemen ke...

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