Entscheidungsstichwort (Thema)

Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Einstweilige Anordnung. Anfechtungsklage. Versagung einer Leistung. Mitwirkung. Rechtsschutzbedürfnis. Folgenabwägung. Arbeitslosengeld II. Hilfebedürftigkeit. Einkommen. Erbschaft. Kontoauszüge

 

Leitsatz (amtlich)

1. Liegt einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren in der Hauptsache ein Anfechtungswiderspruch oder eine Anfechtungsklage gegen einen Versagungsbescheid nach § 66 Abs. 1 S. 1 SGG zu Grunde, ist gerichtlicher einstweiliger Rechtsschutz eigentlich im Wege der Anordnung oder Feststellung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG zu gewähren.

2. Das verfassungsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG macht es jedoch erforderlich, ausnahmsweise über den Streitgegenstand der Hauptsache hinaus einstweiligen Rechtsschutz auch für das ggf. in der Hauptsache nachfolgende Leistungsbegehren im Wege der Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG zu gewähren, soweit die Regelung des Versagungsbescheides reicht (zu beidem bereits: Beschluss vom 24.5.2012 - L 4 AS 243/12 B ER).

3. Setzt die einstweilige Anordnung bei einen möglicherweise bestehenden Anordnungsanspruch auch einen Anordnungsgrund voraus, kann es daran im Rahmen der gebotenen Folgenabwägung fehlen, wenn der Antragsteller gebotenen Mitwirkungshandlungen zur Aufklärung des Sachverhaltes nicht nachkommt, selbst wenn der Versagungsbescheid rechtswidrig oder zumindest nicht sofort vollziehbar sein sollte (Fortführung zum Beschluss vom 24.5.2012, a.a.O.)

 

Normenkette

SGB II § 9 Abs. 1, § 39; SGB I § 60 Abs. 1 S. 1, § 66 Abs. 1; SGG § 86a Abs. 1, § 86b Abs. 1 S. 1 Nr.1, Abs. 2 S. 2

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 30. April 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten der Beschwerde sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die am 18. Mai 2012 bei dem Thüringer Landessozialgericht eingelegte Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gotha (SG) vom 30. April 2012 mit den sinngemäßen Anträgen,

den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 30. April 2012 aufzuheben und

1. festzustellen, dass die Klage gegen den Versagungsbescheid des Antragsgegners vom 13. Januar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. März 2012 aufschiebende Wirkung hat, hilfsweise die aufschiebende Wirkung anzuordnen und

2. den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig Arbeitslosengeld II ab dem 1. Januar 2012 bis zu einer Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache zu zahlen,

hat in der Sache keinen Erfolg.

Entgegen der Auffassung des SG stellt der Antragsteller sinngemäß die vorbenannten Anträge. Ausgehend von dem ausdrücklichen Begehren des Antragstellers einstweiligen Rechtsschutz ab 1. Januar 2012 gegen den vorbenannten Versagungsbescheid gerichtlich erwirken zu wollen, ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des BSG der Versagungsbescheid nach § 66 Abs. 1 S. 1 SGG keine Entscheidung über die beantragte Leistung darstellt, sondern lediglich die Regelung enthält, dass der Leistungsträger bis zur Nachholung der geforderten Mitwirkung des Antragstellers von weiteren Ermittlungen und einer Bescheidung des Leistungsantrags in der Sache absehen darf (BSG, Urteile vom 25. Oktober 1988 - 7 RAr 70/87, 17. Februar 2004 - B 1 Kr 4/02 R, 1. Juli 2009 - B 4 AS 78/08 R, alle juris). Ist dagegen in der Hauptsache allein im Wege des Anfechtungswiderspruchs- oder der Anfechtungsklage vorzugehen, ohne dass damit unmittelbar in der Hauptsache eine Leistungsverpflichtung des Leistungsträgers durchgesetzt werden kann, richtet sich der einstweilige Rechtsschutz zunächst grundsätzlich nur gemäß oder entsprechend § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG darauf, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, soweit ihr gesetzlich keine aufschiebende Wirkung zukommt, oder die aufschiebende Wirkung festzustellen, falls der Leistungsträger die gesetzlich angeordnete aufschiebende Wirkung nicht beachtet.

Zur Wahrung des gebotenen effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG ist darüber hinaus ausnahmsweise das einstweilige Rechtsschutzbegehren über den Gegenstand der Hauptsache hinaus auch im Wege der Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 SGG auf ein vorläufiges Verpflichtungsbegehren zu erweitern, obwohl dieses eigentlich erst im sich ggf. anschließenden Verfahren mit Sachentscheidung in der Hauptsache durchgesetzt werden kann (für Sozialhilfe: Hessisches LSG, Beschluss vom 22. Dezember 2008 - L 7 SO 80/08 B ER; unveröffentlicht; LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 14. Juni 2007 - L 28 B 769/07 AS ER und 22. November 2005 - L 29 B 1212/05 AS ER; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. Januar 2006 - L 7 AS 5532/05 ER-B; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14. Januar 2008 - L 7 AS 772/07 ER; alle juris; vgl. Hölzer in info also 2010, S. 99, 101 f.).

Dem so richtig verstandenen Begehren des Antragstellers steht nicht die Rechtskraft der Entscheidung in dem weiteren einstweiligen Rechtsschutzverfa...

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