Entscheidungsstichwort (Thema)

Versagung einer Leistung wegen fehlender Mitwirkung. Auslegung des Antrags. Anfechtungsklage. Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Einstweilige Anordnung. Anordnungsgrund. Rechtsschutzbedürfnis

 

Leitsatz (amtlich)

1. Liegt einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren in der Hauptsache ein Anfechtungswiderspruch oder eine Anfechtungsklage gegen einen Versagungsbescheid nach § 66 Abs. 1 S. 1 SGG zu Grunde, ist gerichtlicher einstweiliger Rechtsschutz eigentlich im Wege der Anordnung oder Feststellung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG zu gewähren.

2. Das verfassungsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG macht es jedoch erforderlich, ausnahmsweise über den Streitgegenstand der Hauptsache hinaus einstweiligen Rechtsschutz auch für das ggf. in der Hauptsache nachfolgende Leistungsbegehren im Wege der Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG zu gewähren, soweit die Regelung des Versagungsbescheides reicht.

3. Ein Rechtsschutzbedürfnis für die aufschiebende Wirkung nach Ziffer 1 besteht nur, soweit eine einstweilige Anordnung zu erlassen ist.

4. Setzt die einstweilige Anordnung jedenfalls einen möglicherweise bestehenden Anordnungsanspruch voraus, kann dem entgegenstehen, dass der Versagungsbescheid nach § 66 Abs. 1 S. 1 SGG rechtmäßig ist. Im Übrigen sind, wie sonst auch, die Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen.

 

Normenkette

SGG § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 106 Abs. 1, § 112 Abs. 2 S. 2, § 123; BGB § 133; SGB I § 66 Abs. 1 S. 1; GG Art. 19 Abs. 4

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 13. Januar 2012 wird als unzulässig verworfen, soweit sie den Zeitraum vom 1. Juli 2011 bis 13. Dezember 2011 erfasst, und im Übrigen zurückgewiesen.

Kosten der Beschwerde sind auch nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die am 15. Februar 2012 bei dem Thüringer Landessozialgericht eingelegte Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gotha (SG) vom 13. Januar 2012, ihm zugestellt am 18. Januar 2012, mit den sinngemäßen Anträgen,

den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 13. Januar 2012 aufzuheben und

1. festzustellen, dass die Klage gegen den Versagungsbescheid des Antragsgegners vom 4. Juli 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. November 2011 aufschiebende Wirkung hat, hilfsweise die aufschiebende Wirkung anzuordnen und

2. den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Arbeitslosengeld II ab dem 1. Juli 2011 bis 31. Dezember 2011 bis zu einer Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache zu zahlen,

hat keinen Erfolg.

Entgegen der Auffassung des SG ist bei verständiger Auslegung das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers so zu verstehen, dass er allein einstweiligen Rechtsschutz wegen der in der Hauptsache bei dem SG anhängigen Klage gegen den vorbezeichneten Versagungsbescheid des Antragsgegner begehrt. Nicht einbezogen ist hingegen der weitere Leistungsantrag des Antragstellers vom 7. Dezember 2011 für den Zeitraum ab 1. Januar 2012, auf den der Antragsgegner mittlerweile einen weiteren Versagungsbescheid vom 13. Januar 2012 erlassen hat.

Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Bei unklaren Anträgen muss das Gericht mit den Beteiligten klären, was gewollt ist, und darauf hinwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden (§ 106 Abs. 1, § 112 Abs. 2 S. 2 SGG). Im Übrigen muss dann, wenn der Wortlaut eines Antrags nicht eindeutig ist, im Wege der Auslegung festgestellt werden, welches das erklärte Prozessziel ist. In entsprechender Anwendung der Auslegungsregel des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch ist nicht am Wortlaut der Erklärung zu haften; die Auslegung von Anträgen richtet sich vielmehr danach, was als Leistung möglich ist, wenn jeder verständige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung angepasst hätte und keine Gründe zur Annahme eines abweichenden Verhaltens vorliegen. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass der Kläger alles zugesprochen haben möchte, was ihm aufgrund des Sachverhalts zusteht (stRspr, zuletzt etwa BSG, Urteil vom 24. Februar 2011 - B 14 AS 49/10 R m.w.N., juris).

Anhand dieses Maßstabs ist aus dem Sachzusammenhang erkennbar, dass das einstweilige Rechtsschutzbegehren des Antragstellers sich ausschließlich auf die vorbenannte Hauptsache bezieht, weil der Antrag ausschließlich in der eingereichten Klageschrift gestellt ist, die sich nur gegen diesen Versagungsbescheid richtet. Zudem hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren mit Schreiben vom 10. Februar 2012 und 9. März 2012 nochmals klargestellt, sich des unterschiedlichen Regelungsgegenstandes des ersten Versagungsbescheides und des Folgeantrages für den Zeitraum ab 1. Januar 2012, auf den der Antragsgegner einen weiteren Versagungsbescheid mit Datum vom 13. Januar 2012 erlassen hat, bewusst zu sein, und vorliegend sich allein gegen den ersten Versagung...

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