Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Beschwerde gegen die Entscheidung des Sozialgerichts im Vergütungsfestsetzungsverfahren. Erinnerungsrecht der Staatskasse. Verwirkung. Voraussetzungen. Geltung im Kostenrecht. Verwirkungsfrist

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Verwirkung setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes die verspätete Geltendmachung des Rechts dem Verpflichteten gegenüber nach Treu und Glauben als illoyal erscheinen lassen. Die Verwirkung gilt in allen Rechtsgebieten, auch im Kostenrecht. Allein der Zeitablauf von einem Jahr ab Kostenfestsetzung (§ 55 RVG) begründet nicht die Verwirkung (entgegen LSG München vom 4.10.2012 - L 15 SF 131/11 B E = AGS 2012, 584). Die absolute Obergrenze (vgl LSG Erfurt vom 5.3.2018 - L 1 SF 1343/16 B) bereits nach einem Jahr kann nicht mit entsprechenden Anfechtungsfristen bei falscher oder unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung begründet werden. Sie kommt jedenfalls nicht in Betracht, wenn noch nicht einmal die im Sozialrecht allgemein geltende Verjährungsfrist von vier Jahren (vgl § 45 SGB I) abgelaufen ist.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 24. März 2016 (S 38 SF 394/15 E) aufgehoben und die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung des Beschwerdeführers für das Verfahren S 38 AS 4273/08 auf 491,85 € festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Rechtsanwalts-vergütung für das beim Sozialgericht Altenburg (SG) anhängig gewesene Verfahren (S 38 AS 4273/08), in dem der Beschwerdeführer den Kläger ab dem 13. April 2011 vertrat.

Der Kläger hatte sich mit der am 20. November 2008 durch andere Prozessbevollmächtigte erhobenen Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 16. September 2008 (Aufhebung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB II≫ für die Zeit vom 22. bis 31. Juli 2008 wegen Umzugs und Erstattung überzahlter Leistungen in Höhe von 130,22 € ) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Oktober 2010 (W 2379/08) gewandt. Unter dem 13. April 2011 zeigte Rechtsanwalt R. beim SG die Mandatsübernahme an und beantragte Akteneinsicht. Mit Schriftsatz vom 5. Mai 2011 reichte er die Akte zurück. Unter dem 30. August 2011 begehrte er eine Entscheidung über den noch durch die vormaligen Prozessbevollmächtigten gestellten Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter seiner Beiordnung. Mit Schriftsatz vom 1. September 2011 (Eingang beim SG: per Fax um 16:06 Uhr) begründete er die Klage. Mit Beschluss vom 2. September 2011 bewilligte das SG dem Kläger PKH ab 1. September 2011 und ordnete Rechtsanwalt R. bei.

Mit einer weiteren am 20. November 2008 beim SG erhobenen Klage (S 38 AS 3612/08) hatten sich die zunächst beauftragten Prozessbevollmächtigten gegen den Bescheid der Beklagten vom 23. Juli 2008 (Aufhebung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB II≫ für die Zeit ab dem 22. Juli 2008 wegen Umzugs und dadurch Wechsel der Zuständigkeit) gewandt. Der Beschwerdeführer zeigte auch hier am 13. April 2011 seine Mandatsübernahme an und begründete die Klage mit Schriftsatz vom 1. September 2011(Eingang beim SG: per Fax um 16:04 Uhr).

Am 15. September 2011 verhandelte das SG die beiden Verfahren des Klägers in einer 8 Minuten dauernden mündlichen Verhandlung. Die Beklagte beschränkte dort die Aufhebung und Erstattung auf die Kosten der Unterkunft in Höhe von 84,00 € und erklärte, sie trage 35 v.H. der außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Unter dem 30. September 2011 beantragte der Beschwerdeführer die Festsetzung folgender Gebühren für das Klageverfahren S 38 AS 4273/08:

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG

250,00 €

Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG

200,00 €

Einigungsgebühr Nr. 1006 VV RVG

190,00 €

Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG

20,00 €

Kopierkosten Nr. 7000 VV RVG (25 Kopien á 0,50 €)

12,50 €

Zwischensumme

672,50 €

Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG

127,78 €

Summe 

800,28 €

Mit Verfügung vom 4. November 2011 teilte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) dem Beschwerdeführer mit, die zu zahlende Vergütung betrage 681,28 € (Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG: 250,00 €, Einigungsgebühr Nr. 1006: 190,00 €, Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 100,00 €, Auslagen/Pauschale 20,00 €, Umsatzsteuer Nr. 7008 108,78 €). Die Auszahlung des Betrages sei veranlasst.

Mit Kostennachricht nach § 59 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) vom 11. Januar 2013 forderte das SG die Beklagte aufgrund ihrer Kostenbeteiligung für das Klageverfahren zur Zahlung eines Betrages ...

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