Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Anspruch auf Kostenübernahme für eine Onkothermie zur Behandlung eines anaplastischen Astrozytoms. Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Zur Kostenübernahme einer loko-regionalen Tiefen-Hyperthermietherapie ("Onkothermie") zur Behandlung eines anaplastischen Astrozytoms (WHO Grad III) im Wege einer einstweiligen Anordnung.
Orientierungssatz
1. Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung erfordern, dass das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon im vollen Umfang, wenn auch nur auf beschränkte Zeit und unter dem Vorbehalt einer entsprechenden Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren darf, was er sonst nur mit der Hauptsacheklage erreichen könnte.
2. Im Hinblick auf das in Art 19 Abs 4 GG zum Ausdruck kommende Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes gilt dieses grundsätzliche Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung allerdings dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung notwendig erscheint, um die sonst zu erwartenden unzumutbaren und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigenden Nachteile für den Antragsteller zu vermeiden, und gleichzeitig ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht.
3. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (vgl BVerfG vom 25.2.2009 - 1 BvR 120/09 = BVerfGK 15, 133). Das muss erst recht gelten, wenn es um das Leben als Höchstwert innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung geht (vgl BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5).
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Meiningen vom 10. März 2010 aufgehoben.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig, längstens jedoch bis zum Eintritt der Rechtskraft einer Hauptsacheentscheidung, die weitere loko-regionale Tiefen-Hyperthermiebehandlung ("Onkothermie") in der Fachambulanz der "Klinik i. L." in G. als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.
Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.
Gleichzeitig wird ihm für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwältin Dr. med. P., T.-M.-Str. ., . R., ab 31. März 2010 gewährt.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung, ihm künftige Hyperthermiebehandlungen in der Fachambulanz der KLINIK P.L. (jetzt: Klinik im LEBEN), Mitteldeutsches Hyperthermiezentrum, in G./Th. (im Folgenden: KLINIK), vorläufig als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.
Bei dem 1987 geborenen Antragsteller wurde im Juni 2009 im Universitätsklinikum D. ein Gehirntumor in Form eines sogenanntes anaplastischen Astrozytoms (WHO Grad III), diagnostiziert und eine Indikation zur Strahlentherapie gestellt. Wegen der Infiltration des Hirnstamms sollte die Strahlendosis beschränkt sowie die Strahlentherapie mit einer Chemotherapie mit Temodal® kombiniert werden. Diese Behandlung ließ der Antragsteller nicht durchführen.
Seit 24. August 2009 befand er sich in der KLINIK in Behandlung. Dort wurde der Antragsteller seitdem 15 Mal mit einer loko-regionalen Tiefen-Hyperthermietherapie ("Onkothermie") behandelt. Bei der Onkothermie wird eine Überwärmung der Tumorzellen mittels hochfrequenter Wellen angestrebt, wodurch es zu einem Sauerstoffmangel der Tumorzellen, der Entwicklung eines sauren Zellmilieus sowie zu einer Nährstoffverarmung im Tumor kommen soll. Hierdurch soll der Zellstoffwechsel gestört werden, sodass es zum (Tumor-)Zelltod kommen kann.
Ebenfalls am 24. August 2009 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin unter Vorlage eines Kostenplans die Kostenübernahme für 15 Tiefen-Hyperthermie-Behandlungen in Höhe von voraussichtlich 3.218,02 Euro.
Bereits zuvor, nämlich mit Beschluss des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss ≪GBA≫) vom 18. Januar 2005 wurde die Hyperthermie in die Anlage B (nicht anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden) der Richtlinie des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen zur Bewertung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach § 135 Abs. 1 SGB V (BUB-RL; jetzt: Nummer 42 der Anlage II - Methoden, die nicht als vertragsärztliche Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden dürfen - der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung) aufgenommen.
Mit Bescheid vom 2. September 2009 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab, da es sich bei der Hyperthermie um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmetho...