Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. beigeordneter Rechtsanwalt. Fälligkeit der Vergütung. Verjährung. Tod des Auftraggebers. Ruhen des Verfahrens
Leitsatz (amtlich)
Nach § 8 Abs 1 S 2 RVG sollen die in einem gerichtlichen Verfahren tätigen Prozessbevollmächtigten ihre Vergütung nicht nur und erst dann geltend machen können, wenn der Auftrag erledigt oder die Angelegenheit beendet ist, sondern unter anderem auch dann, wenn das Verfahren mehr als drei Monate geruht hat. Ein Ruhenstatbestand iS von § 8 Abs 1 S 2 RVG, der nach Ablauf von 3 Monaten zur Fälligkeit der Anwaltsvergütung führt, ist erst gegeben, wenn das Gericht zu erkennen gibt, dass es das Verfahren nicht von sich aus, sondern nur auf Antrag einer der Parteien weiterbetreiben wird. Einer förmlichen Ruhensanordnung iS von § 251 ZPO bedarf es insoweit nicht.
Orientierungssatz
Der Tod des Auftraggebers hat nicht regelmäßig die Beendigung des Auftrags des Rechtsanwalts zur Folge.
Tenor
Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 5. Dezember 2022 (S 20 SF 8/22 E) wird zurückgewiesen.
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Festsetzung der aus der Staatskasse zu erstattenden Rechtsanwaltsvergütung für ein beim Sozialgericht Nordhausen anhängig gewesenes Verfahren (S 20 R 223/09) die Einrede der Verjährung entgegensteht.
Mit der am 20. Januar 2009 erhobenen Klage wandte sich der Kläger, vertreten durch den Beschwerdegegner, gegen den Bescheid der Beklagten vom 25. August 2008 (Verrechnung einer Forderung der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft Mittel- und Ostdeutschland mit der laufenden Rente des Klägers in Höhe von 50,00 € monatlich) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Dezember 2008 und beantragte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH). Für den Kläger sei beim Amtsgericht Mühlhausen das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Die Forderungen der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft Mittel- und Ostdeutschland in Höhe von 2.472,86 € seien zum Insolvenzverfahren auch angemeldet. Insoweit könne keine Verrechnung der Forderungen erfolgen. Mit Beschluss vom 18. Mai 2011 bewilligte das Sozialgericht dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Beschwerdegegners. Dieser fertigte insgesamt vier weitere Schriftsätze und nahm an der mündlichen Verhandlung am 26. Januar 2012, die von 11:20 bis 12:06 Uhr dauerte, teil. Die Beklagte teilte im Februar 2012 mit, dass der Kläger am 6. Februar 2012 verstorben sei. Sie beantragte das Verfahren nach § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit § 239 der Zivilprozessordnung (ZPO) zu unterbrechen, bis ein Rechtsnachfolger das Verfahren aufnehme oder Erledigung erklärt werde. Das Sozialgericht verfügte am 8. August 2012 die statistische Erledigung des Verfahrens auf sonstige Art. Im August 2012 teilte der Beschwerdegegner mit, nach den ihm vorliegenden Informationen hätten sämtliche Erben ausgeschlagen. Im Dezember 2012 fragte er an, wie weiter verfahren werden solle. Mit Verfügung vom 20. Oktober 2015 teilte das Sozialgericht dem Beschwerdegegner mit, er möge beim Amtsgericht im genannten Verfahren die Erbschaftsverhältnisse klären und ggf. mit dem gesetzlichen Erben (Land) hinsichtlich der Fortführung des Verfahrens sprechen. Ohne ausdrückliche Wiederaufnahme bleibe das Verfahren ruhend. Im September 2017 fragte die Beklagte an, wann mit der Beendigung des Verfahrens gerechnet werden könne. Der Beschwerdegegner teilte im Februar 2018 mit, er könne keinerlei Erklärung zur Beendigung des Verfahrens abgeben. Im Februar 2019 fragte er an, wie nunmehr abschließend verfahren werden solle.
Mit Kostennote vom 20. November 2019 beantragte der Beschwerdegegner die Festsetzung folgender Gebühren für das Klageverfahren:
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Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG |
250,00 € |
Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG |
200,00 € |
Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG |
20,00 € |
Zwischensumme |
470,00 € |
Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG |
89,30 € |
Gesamtbetrag |
559,30 € |
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) wies den Beschwerdegegner zunächst mit Verfügung vom 16. Dezember 2019 darauf hin, dass die Vergütung nach § 8 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) noch nicht fällig sei. Aus ihrer Sicht sei die Angelegenheit noch nicht beendet.
Mit Beschluss vom 16. Januar 2020, zugestellt am 20. Januar 2020, ordnete das Sozialgericht die Aussetzung des Rechtsstreits nach § 202 SGG i.V.m. §§ 339, 246 Abs. 1 ZPO an. Mit diesem Beschluss werde die irrtümlich unterbliebene Entscheidung des Gerichts formal nachgeholt, weil bis dato keine Entscheidung über die Fortführung des Rechtsstreits getroffen worden sei.
Mit Verfügung vom 29. Januar 2020 erinnerte die UdG an die eingeräumte Möglichkeit zur Stellungnahme. Sollte keine Stellung genommen werden, werde der Antrag auf Vergütungsfestsetzung mangels Fälligkeit der Vergütung zurückgewiesen. Der Beschwerdegegner erklärte hierzu, de...