Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. örtliche Zuständigkeit. Leistungen in ambulant betreuten Wohnmöglichkeiten. Zuständigkeit für alle Leistungen nach dem SGB 12. tatsächliche oder hypothetische Zuständigkeit vor Eintritt in diese Wohnform. Beginn des Leistungsfalls nach dem 31.12.2004
Leitsatz (amtlich)
1. Sowohl die bis zum 6.12.2006 geltende Fassung des § 98 Abs 5 SGB 12 als auch die Neufassung begründen eine Zuständigkeit nicht nur für die mit der betreuten Wohnmöglichkeit unmittelbar zusammenhängenden Sozialhilfeleistungen, sondern für alle Leistungen nach dem SGB 12 (Anschluss an BSG vom 25.8.2011 - B 8 SO 7/10 R = BSGE 109, 56 = SozR 4-3500 § 98 Nr 1 RdNr 18), also auch die Hilfe zum Lebensunterhalt bzw die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie die Eingliederungshilfe.
2. Die Vorschrift des § 98 Abs 5 SGB 12 knüpft für die Bestimmung der Zuständigkeit nicht an den tatsächlichen oder gewöhnlichen Aufenthalt an, sondern an die tatsächlich oder hypothetisch vor dem Eintritt dieses Leistungsfalls bestehende Zuständigkeit, worauf immer diese sich gründet.
3. Die Vorschrift des § 98 Abs 5 SGB 12 findet auf Leistungsfälle in ambulant betreuten Wohnformen Anwendung, die erst nach dem 31.12.2004 begonnen haben (Anschluss an BSG vom 25.8.2011 - B 8 SO 7/10 R aaO); nicht maßgeblich ist also, wann der vorangegangene Bezug von stationären oder sonstigen Leistungen der Sozialhilfe begonnen hat.
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nordhausen vom 28. April 2010 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird endgültig auf 5.000 Euro festgesetzt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die örtliche Zuständigkeit für die Gewährung von Leistungen nach dem 4. und 6. Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) für Herrn Hans Haase.
Der 1955 geborene Leistungsberechtigte ist Alkoholiker. Bis zum 18. November 1999 hatte er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in dem Ort S. (Landkreis R.). Am 19. November 1999 kam es zur stationären Aufnahme in einer Einrichtung der Suchtkrankenhilfe, dem "Haus J." in F. (….kreis). Bis zur Entlassung des Leistungsberechtigten aus dieser Einrichtung am 30. April 2006 hat der Beklagte sämtliche mit dem Aufenthalt in der stationären Einrichtung verbundenen Sozialhilfeleistungen getragen. Mit Wirkung zum 1. Mai 2006 schloss der Leistungsberechtigte mit dem …..verbund ….kreis gGmbH einen Mietvertrag für eine Wohnung des ambulant betreuten Wohnens verbunden mit einem Betreuungsvertrag für die …straße . in S... Der Beklagte hat die entsprechend dem Betreuungsvertrag erbrachte Hilfe zum selbstbestimmten Leben in der betreuten Wohnmöglichkeit durch Mitarbeiter des …verbundes K…gGmbH im Umfang von zwei bzw. drei Fachleistungsstunden pro Woche zuständigkeitshalber übernommen.
Zum Streit kam es in der Folgezeit hinsichtlich der Erbringung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel SGB XII sowie von Leistungen der Eingliederungshilfe für die Tätigkeit des Leistungsberechtigten im Arbeitsbereich der Zweigstelle E. der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) Mühlhausen. Auf Antrag des Leistungsberechtigten erbrachte der Kläger diese Leistungen unter Anrechnung einer von der Deutschen Rentenversicherung an den Leistungsberechtigten erbrachten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und meldete bei dem Beklagten unter dem 27. Juli 2006 einen Erstattungsanspruch an. Der Beklagte lehnte eine Erstattung ab, da er sich für örtlich nicht zuständig hielt.
Daraufhin hat der Kläger am 14. September 2006 eine auf Feststellung der örtlichen Zuständigkeit (sinngemäß ab 1. Mai 2006) gerichtete Feststellungsklage bezüglich der Leistungen nach dem 4. und 6. Kapitel erhoben. Das Sozialgericht Nordhausen hat der Klage mit Gerichtsbescheid vom 28. April 2010 stattgegeben und festgestellt, dass der Beklagte für die Leistungen nach dem 4. und 6. Kapitel ab 1. Mai 2006 örtlich zuständig ist; zugleich hat es dem Beklagten die Kostenlast nach § 197 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) auferlegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, zwar sei die Feststellungsklage gegenüber einer Leistungsklage, die auf Erstattung gerichtet sei, grundsätzlich subsidiär. Ausnahmsweise sei diese aber - wie hier - dann zulässig, wenn dies der Vereinfachung diene und zu erwarten sei, dass die Beklagte auch einem Feststellungsurteil Folge leisten werde, weil es sich um eine Behörde handele. Im Übrigen begründe § 98 Abs. 5 SGB XII eine Gesamtzuständigkeit für alle Leistungen des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, wenn - wie hier - ein Fall des ambulant betreuten Wohnens vorliege. Es handele sich um eine Wohnung eines Freien Trägers, dessen Nutzung an einen Betreuungsvertrag gebunden sei. Mit der Bezugnahme auf die Leistungen nach dem 6. bis 8. Kapitel beschränke § 98 Abs. 5 SGB XII nur den Personenkreis, nicht aber die Leistungen. Für eine Gesamtzuständigkeit spreche hier s...