Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. örtliche Zuständigkeit. Wechsel von stationärer Einrichtung zu ambulant betreuter Wohnmöglichkeit. Zuständigkeit des vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständigen Sozialhilfeträgers. keine analoge Anwendung des § 98 Abs 2 S 2 SGB 12
Leitsatz (amtlich)
1. Auf die sog "gemischte Kette", bei welcher auf eine Zeit des ambulant betreuten Wohnens ein stationärer Aufenthalt unmittelbar folgt, welchem sich wiederum ein ambulant betreutes Wohnen anschließt, ist der Gedanke des § 98 Abs 2 S 2 SGB 12 nicht übertragbar. Die Ansicht, welche wegen einer planwidrigen Regelungslücke die analoge Anwendung dieser Vorschrift vorsieht, lässt sich mit dem Wortlaut dieser Vorschrift nicht mehr vereinbaren.
2. Mit Aufnahme in einer stationären Einrichtung endet eine ambulante Leistungserbringung bis der Leistungsberechtigte nach Abschluss der stationären Maßnahme neu in das betreute Wohnen eintritt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich nicht nur um eine völlig unbedeutende, kurzfristige Unterbringung handelt, die im Wesentlichen vom Übergang einer Einrichtung in eine andere geprägt ist. Eine Aufenthaltsdauer von ca 3 Monaten kann der Senat nicht mehr als unbeachtlich und kurzfristig einordnen.
3. Die Revision ist zugelassen worden.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 30. November 2010 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 11.592,20 Euro festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Aufwendungen für das ambulant betreute Wohnen des Leistungsberechtigten J. G. ab 22. April 2008.
Der 1970 geborene Leistungsberechtigte lebte bis zu seiner ersten Aufnahme in einer stationären sozial-therapeutischen Einrichtung im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten, welche auch die Kosten dieser Behandlung bis einschließlich Februar 2007 beglich. Ab März 2007 mietete der Leistungsberechtigte eine Wohnung unter der Anschrift "Am S. 46" in G. von der G. Baugenossenschaft GWG e.G. an. Auf seinen Antrag wurde ihm zudem fortlaufend eine sozial-therapeutische Betreuung ambulant durch den Pflegedienst P. B. GbR mit Sitz in derselben Straße zuteil. Aufgrund der bei ihm diagnostizierten Alkoholabhängigkeit und sozialen Anpassungsstörungen erbrachte der Pflegedienst ambulante Hilfeleistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft mit dem Ziel, die Unabhängigkeit des Leistungsberechtigten von vollstationärer Hilfe, eine selbständige Lebensführung und die Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder einer sonstigen geeigneten Beschäftigung zu erreichen. Auch die Aufwendungen für diese betreute Wohnmöglichkeit übernahm die Beklagte bis zur erneuten stationären Aufnahme des Leistungsberechtigten.
Zur erneuten stationären Behandlung wurde der Leistungsberechtigte nunmehr auf Kosten der Deutschen Rentenversicherung vom 29. Januar 2008 bis zu seiner Entlassung am 22. April 2008 in der A.-Klinik im R. aufgenommen. Nach seiner Entlassung bezog er erneut die Wohnung "Am S. 46" in G. und erhielt dort auch entsprechend seines Antrags vom 21. April 2008 - nun zu Lasten der Klägerin - erneut Betreuungsleistungen des Pflegedienstes P. B. GbR mit dem Ziel, dadurch die Unabhängigkeit von vollstationärer Hilfe, die selbständige Lebensführung und die Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder sonstigen geeigneten Beschäftigung zu erreichen.
Zwischen den Beteiligten entwickelte sich in der Folge hinsichtlich der Kostenlast für die betreute Wohnmöglichkeit ein Zuständigkeitsstreit. Der zunächst beim Beklagten eingereichte Antrag des Leistungsberechtigten wurde unter dem 28. April 2008 an die Klägerin weitergeleitet. Nachdem diese unter dem 8. Mai 2008 den Antrag an die Beklagte zurückgeleitet hatte, sandte die Beklagte unter dem 23. Mai 2008 wiederum den Antrag an die Klägerin, welche schließlich die Leistungen bewilligte. Zunächst erging unter dem 15. Juli 2008 ein Bescheid für den Zeitraum vom 22. April 2008 bis 30. September 2008, sodann unter dem 13. Oktober 2008 ein Bescheid für den Zeitraum vom 1. Oktober 2008 bis 30. September 2009, ferner unter dem 23. September 2009 ein Bescheid für den Zeitraum ab 1. Oktober 2009 bis 30. September 2010 bzw. bis zu der Aufhebung ab Inhaftierung des Leistungsberechtigten am 26. März 2010; zuletzt wurden bis zum Maßnahmeabbruch am 4. August 2011 erneut Leistungen bewilligt. Die Bewilligung erfolgte vorläufig als zweitangegangener Sozialhilfeträger nach § 14 Abs. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) auf Grundlage der §§ 19 Abs. 3, 53 ff. Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) Sozialhilfe in Form der Eingliederungshilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Im Rahmen der Durchführung des betreuten Einzelwohnens für behinderte Menschen durch P. B. GbR, Am S. 36, 07548 G., wurden Betreuungsleistungen im Umfang von monatlich bis zu 15 Fachleistungsstunden gewährt. E...