Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Antrag beim unzuständigen Leistungsträger. Leistungsausschluss wegen Bezugs einer russischen Altersrente. Sozialhilfeanspruch
Orientierungssatz
1. Ist der Beklagte, bei dem der Kläger einen Leistungsantrag nach dem SGB 2 gestellt hat, als zugelassener kommunaler Träger sowohl Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende als auch zuständiger Sozialhilfeträger, so liegt in dem Antrag auf Grundsicherungsleistungen bei sachgerechter Auslegung des Begehrens auch ein Antrag auf entsprechende Leistungen der Sozialhilfe vor. Gerade für Leistungen nach dem SGB 2 und SGB 12 gilt, dass wegen der gleichen Ausgangslage (Bedürftigkeit und Bedarf) ein Antrag auf Leistungen nach dem einen Gesetz im Zweifel auch als Antrag nach dem anderen Gesetz zu werten ist (vgl BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 66/13 R = BSGE 117, 303 = SozR 4-4200 § 7 Nr 42 und vom 26.8.2008 - B 8/9b SO 18/07 R = SozR 4-3500 § 18 Nr 1).
2. Bei einer ausländischen Altersrente handelt es sich um eine zum Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs 4 SGB 2 führende Sozialleistung, wenn sie nach Funktion und Struktur mit der deutschen Altersrente vergleichbar ist (vgl BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 30). Die hier bezogene russischen Altersrente stellt eine der deutschen Altersrente von ihrer Grundstruktur und den Leistungsvoraussetzungen ähnliche Leistung dar und führt daher zum Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs 4 SGB 2.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 20. Oktober 2016 abgeändert. Der Bescheid vom 2. April 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2014 wird insoweit aufgehoben, als darin die Leistungsbewilligung für Januar 2005 um mehr als 4,41 €, für Februar und März 2005 vollständig, für April 2005 um mehr als 281,06 €, für Mai 2005 um mehr als 73,05 € und für Juni um mehr als 75,69 € zurückgenommen wird, und soweit darin eine Erstattung von mehr als 433,21 € angeordnet wird. Insoweit wird die Klage abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 85 %.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rücknahme der Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Zeitraum Januar bis Juni 2005 wegen des Bezuges einer russischen Altersrente.
Die am … geborene Klägerin besitzt sowohl die deutsche als auch die russische Staatsangehörigkeit. Seit Oktober 2004 bezieht sie vom russischen Rentenfond eine Altersrente. Voraussetzung für diese Rente, die Frauen ab dem 55. Lebensjahr beziehen können, war der Nachweis von fünf Versicherungsjahren. Die Rente wurde auf ein russisches Sparbuch gezahlt. Etwa einmal jährlich fuhr die Klägerin nach Russland und ließ die Zahlungen auf dem Sparbuch eintragen. Die Rente belief sich auf monatlich 2.352,66 Rubel (nach damaligem Wechselkurs ca. 65 €) im März 2005 und auf 2.592,66 Rubel (ca. 72 €) ab April 2005, wobei in den Monaten Januar bis März 2005 keine Zahlung erfolgte. Im April wurden insgesamt 9.890,64 Rubel gezahlt, im Mai und Juni jeweils 2.592,66 Rubel. Weiterhin wurden auf dem Sparbuch im Januar 2005 Zinsen in Höhe von 160,64 Rubel und im April von 220,89 Rubel gutgeschrieben.
Die Klägerin, die ab Mai 2003 Sozialhilfe bezogen hatte, beantragte am 24. August 2004 für sich und ihren mit ihr zusammenlebenden 1951 geborenen Ehemann ab dem 1. Januar 2005 Arbeitslosengeld II. Ausdrücklich wurde in dem Antragsformular ausgeführt, u.a. Renten aus der Sozialversicherung, Betriebsrenten oder Pensionen seien als Einkommen zu berücksichtigen. Dieser Punkt wurde mit einem Textmarker markiert. Die Klägerin kreuzte an, weder sie noch ihr Ehemann verfügten über Einkommen. Bei dem Zusatzblatt zur Feststellung von Vermögen kreuzte sie an, sie verfüge über keine Sparbücher o.ä. Die Beklagte bewilligte der Klägerin und ihrem Ehemann mit Bescheid vom 29. Januar 2005 für Januar bis Juni 2005 Leistungen, auf die Klägerin entfielen 465,23 €.
Mit Schreiben vom 6. August 2012 bat die Beklagte die Klägerin um Mitteilung, ob sie eine russische Rente erhalte. Die Klägerin teilte hierauf am 14. August 2012 persönlich den Rentenbezug und die genaueren Umstände der Auszahlung mit. Nachdem die Klägerin auf Anforderung der Beklagten eine Bescheinigung über die Höhe der Auszahlungsbeträge vorgelegt hatte, gab die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 28. Februar 2013 Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Rücknahme der Leistungsbewilligung im Zeitraum Januar 2005 bis August 2012 mit einem Umfang von insgesamt 44.295,43 €. Die Klägerin teilte mit, sie habe nicht gewusst, dass die russische Rente in Deutschland Einkommen sei. Mit Bescheid vom 2. April 2013 nahm die Beklagte gegenüber der Klägerin die Leistungen für Januar bis Juni 2005 ganz zurück. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, den die Beklagt...