Leitsatz (amtlich)

1. Ein (gerichtlich bestellter) Sachverständiger kann aus den gleichen Gründen wie ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden (§ 406 Abs. 1 ZPO). Für die Besorgnis der Befangenheit genügt jede Tatsache, die auch ein nur subjektives Misstrauen der Partei in die Unparteilichkeit des Sachverständigen vernünftigerweise rechtfertigen kann. Ob der Sachverständige tatsächlich voreingenommen ist, ist unerheblich.

2. Ein Grund für die Besorgnis der Befangenheit kann auch eine besondere berufliche Nähe des Sachverständigen zu einer Partei sein, die - wie hier - ihren Ausdruck in dem beruflichen Werdegang des Sachverständigen in der Einrichtung der Beklagten gefunden hat. Dabei kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Sachverständige vor/bei seiner Beauftragung (auf Vorschlag der Beklagten) diese berufliche Nähe verschwiegen hatte.

 

Normenkette

ZPO § 406 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Gera (Urteil vom 10.08.2009; Aktenzeichen 2 O 604/08)

 

Tenor

Das Befangenheitsgesuch des Klägers gegen den Sachverständigen Dr. med. W. wird für begründet erklärt.

 

Gründe

I. Mit seiner Klage vom 24.4.2008 begehrt der Kläger Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen der in der Klinik für Urologie im Haus der Beklagten im April 2007 durchgeführten Behandlung und Operation wegen rezidivierender (therapierestenter) Balanitiden (Entzündung der glans penis). Er wirft dem behandelnden Arzt u.a. eine entgegen der Vorabspache unvollständige Beschneidung, also nicht vollständige Entfernung seiner Vorhaut vor. Das Operationsergebnis sei funktionell, optisch (ästhetisch) und präventiv ungenügend, habe zu Einschränkungen seiner Lebensführung (und Lebensfreude) geführt und erfordere zudem eine weitere medizinische Nachbehandlung.

Die Beklagte bestreitet jeglichen Haftungsgrund. Das LG hat mit Beweisbeschluss vom 13.8.2008 ein schriftliches Sachverständigengutachten angeordnet und die Parteien um Benennung eines geeigneten Sachverständigen ersucht. (Nur) die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 8.9.2008 als Gutachter Herr Dr. med. habil. W. W., H. V. Klinikum P. vorgeschlagen, der sodann vom Einzelrichter des LG - nach Anhörung des Klägers - als Gutachter bestimmt wurde. Der Kläger hatte gegen die Bestellung des Sachverständigen keine Einwendungen erhoben.

Nach Erstattung des schriftlichen Gutachtens (vom 8.1.2009) - das Gutachten wurde dem Klägervertreter am 29.1.2009 zugestellt - lehnte der Kläger mit Schriftsatz vom 26.2.2009 den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Gründe hierfür ergäben sich aus dem Inhalt des Gutachtens selbst, die sich dem Kläger erst nach sorgfältiger Prüfung erschlossen hätten, auf eine unzureichende Befunderhebung als auch aus der (beruflichen) "Nähe" des Gutachters zur Beklagten. Herr Dr. W. habe von 1983 bis 1989 an der medizinischen Fakultät der F. S. Universität in J. studiert, er sei von 1989 bis 1992 und von 1994 bis 1997 als Assistenzarzt in der Urologie am Universitätsklinikum in J. und von 1998 bis 2003, also bis zur Feststellung seiner Lehrbefähigung, als Oberarzt unter dem jetzt noch amtierenden Chefarzt Dr. Sch. tätig gewesen. Der Sachverständige hat in seiner vom LG zum Befangenheitsgesuch (des Klägers) eingeholten Stellungnahme sein Gutachten inhaltlich verteidigt, sich aber nicht zu der vom Kläger dargestellten Beziehung zur Beklagten eingelassen ...

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das LG ... das Befangenheitsgesuch ... als in der Sache unbegründet zurückgewiesen.

II. Die Beschwerde ist statthaft und auch form- und fristgerecht eingelegt (§§ 406 Abs. 5, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 ZPO), mithin zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg ...

Das Befangenheitsgesuch ist jedenfalls, soweit es die "Nähe" des Gutachters zur beklagten Partei dargelegt hat, begründet, weil der Kläger insoweit einen hinreichend subjektiven Grund vorgetragen hat, der - aus seiner Sicht - geeignet ist, Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Gutachters zu begründen.

Nach § 406 Abs. 1 ZPO kann ein (vom Gericht bestellter) Sachverständiger aus den gleichen Gründen wie ein Richter abgelehnt werden. Für die Besorgnis der Befangenheit genügt jede Tatsache, die auch ein nur subjektives Misstrauen der Partei in die Unparteilichkeit des Sachverständigen vernünftigerweise rechtfertigen kann (BGH NJW 1975, 1363). Ob der Sachverständige tatsächlich voreingenommen ist, ist dabei unerheblich. Entsprechend dem Gedanken, wie er insbesondere bei der Richterablehnung in § 41 ZPO zum Ausdruck kommt, ist ein nahes persönliches oder geschäftliches/berufliches Verhältnis zu einer Partei grundsätzlich geeignet, Misstrauen der anderen Partei in die Unabhängigkeit des Sachverständigen zu begründen; allerdings ist die Frage einer privaten oder - wie hier - beruflichen "Nähe" immer noch zu hinterfragen, nicht jede berufliche Nähe ist für sich allein schon geeignet, darin einen subjektiv hinreichend vernünftigen Grund zu sehen. Vielmehr kommt es immer auf eine Gesamtschau aller im Einzelfall zu bewertenden Tatsachen an.

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