Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Zulässigkeit einer Parteivernehmung der beweisbelasteten Partei

 

Leitsatz (amtlich)

1. Stehen direkte Beweismittel nicht zur Verfügung, kann auch die Benennung von sog. indirekten Zeugen (vom Hörensagen) hilfreich sein, insbesondere eine Beweisaufnahme gebieten. Denn es besteht für das Gericht die Pflicht, die Ausführungen der Prozess-beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Grundrecht sicherstellen, dass die von den Fachgerichten zu treffende Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unzureichender Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der ZPO die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge, auch wenn es sich dabei nur um die Einvernahme indirekter Zeugen handelt.

2. Demgegenüber ist - abweichend von § 445 ZPO - die Vernehmung der beweisbelasteten Partei über deren eigene Behauptung(en) nur zulässig, wenn beide Parteien das übereinstimmend wünschen. Die Vernehmung steht im Ermessen des Gerichts. Widerspricht daher - wie hier geschehen - die Gegenpartei, darf das Gericht aus der Verweigerung des Einverständnisses (der Gegenpartei) keine nachteiligen Schlüsse ziehen, aber auch nicht ohne weiteres die beweisbelastete Partei vernehmen.

3. Möglich ist dies nur unter den Voraussetzungen des § 448 ZPO durch Parteivernehmung von Amts wegen. Dogmatisch ist § 448 ZPO ein Korrektiv zu der äußerst restriktiven Regelung der beantragten Parteivernehmung (§§ 445, 447 ZPO); sie durchbricht den Beibringungsgrundsatz, der im Zivilprozess gilt und kann daher nur unter Beachtung der einschränkenden Voraussetzungen des § 448 ZPO angewendet werden (im Gegensatz zu der unbeschränkt zulässigen Anhörung der Parteien zur Aufklärung - nicht zum Beweis - des streitigen Sachverhalts nach § 141 ZPO).

4. Die Parteivernehmung von Amts wegen nach § 448 ZPO will und darf die beweisbelastete Partei nicht vor den Folgen der Beweisfälligkeit befreien. Ihr Zweck besteht daher darin, dem Gericht dann, wenn nach dem Ergebnis der (mündlichen) Verhandlung und unter Berücksichtigung des übrigen Parteivortrags eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der streitigen Behauptung(en) spricht und andere Erkenntnisquellen nicht zur Verfügung stehen, ein Mittel zur Gewinnung letzter Klarheit an die Hand zu geben. Die Vorschrift trägt daher dem Umstand Rechnung, dass die Parteien in vielen Fällen die einzigen Wissensträger sind und sie verhindert, dass die Nutzbarmachung dieses Wissens im Prozess an den starren Regeln der §§ 445, 447 ZPO scheitert.

Andere Beweismittel müssen daher vorher ausgeschöpft sein.

 

Normenkette

ZPO §§ 445, 447-448

 

Verfahrensgang

LG Meiningen (Urteil vom 04.10.2011; Aktenzeichen 2 O 407/11)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Meiningen vom 4.10.2011 - 2 O 407/11 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil des LG Meiningen ist nunmehr ohne Sicherheitsleistung hinsichtlich des Kostenbetrages vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert der Berufung beträgt 20.000 EUR.

 

Gründe

I. Der Kläger fordert Schadensersatz und Schmerzensgeld für einen Unfall, den er am 22.4.2010 zwischen 23.00 Uhr und 23.30 Uhr auf dem Heimweg nach dem Verlassen einer Gaststätte bei der Benutzung des Bürgersteigs in der August-Bebel-Straße erlitten habe. Nach seinem Vortrag sei der Bürgersteig an der Unfallstelle (gegenüber dem alten Finanzamt; s. dazu Lichtbild Anlage K 1) erheblich beschädigt gewesen; es hätten Steine des Pflasters gefehlt. Ein Pflasterstein an der Unfallstelle sei - beim Betreten - seitlich abgekippt, wodurch er gestürzt sei und sich dabei erheblich verletzt habe.

Nachdem die Beklagte den Klagevortrag in ihrer Einlassung (vom 12.07. 2011) auch hinsichtlich des behaupteten Unfallhergangs bestritten und insbesondere auf die gute Ausleuchtung und die deutliche Erkennbarkeit der schadhaften Stelle (Vertiefung durch Fehlen einzelner Pflastersteine) hingewiesen hatte, hat der Kläger in seiner Erwiderung hierauf zum Beweis seiner Unfalldarstellung seine (eigene) Vernehmung als Partei beantragt; dem hat die Beklagtenvertreterin im Termin vom 4.10.2011 ausdrücklich widersprochen (s. Protokoll von diesem Tag, Bl. 75 d.A.).

Am Schluss der Sitzung hat das LG die Klage abgewiesen. Der Kläger sei für seine Darstellung des Unfallgeschehens ebenso beweisfällig geblieben wie für die behauptete (schuldhafte) Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten. Nach dem Entlassungsbrief der Klinik für Unfallchirurgie M. vom 29.4.2010 (Anlage K 4) sei der Kläger auf Grund eigener Unachtsamkeit zu Fall gekommen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil des LG vom 4.10.2011 Bezug genommen.

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 10.10.2011 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 3.11.2011 - Eingang bei Gericht am 4.11.2011 - Berufung eingelegt und ...

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