Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordnungswidrigkeiten. Fahren unter Drogen. Grenzwert, analytischer. Drogen. Straßenverkehr. Verkehr
Leitsatz (amtlich)
Der objektive Tatbestand des § 24a Abs. 2 StVG ist in keinem Fall erfüllt, wenn die festgestellte Konzentration der Substanz eines berauschenden Mittels im Blut des Betroffenen deren jeweiligen analytischen Grenzwert unterschreitet. Das gilt selbst beim (vermeintlichen) Vorliegen rauschmitteltypischer (Ausfall-)Erscheinungen.
Normenkette
StVG § 24a Abs. 2
Verfahrensgang
AG Pößneck (Entscheidung vom 04.07.2011; Aktenzeichen 654 Js 14051/11 - 3 OWi) |
Tenor
1. Das Urteil des Amtsgerichts Pößneck vom 04.07.2011 wird aufgehoben und der Betroffene freigesprochen.
2. Die Kosten des gesamten Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I. Mit Urteil vom 04.07.2011 verhängte das Amtsgericht Pößneck gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeuges am 15.09.2010 unter Wirkung berauschender Mittel eine Geldbuße von 500,- € und ein einmonatiges Fahrverbot unter Anwendung der Wirksamkeitsregelung nach § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG. Der Verurteilung lag zugrunde, dass bei Untersuchung einer dem Betroffenen nach der Fahrt entnommenen Blutprobe 0,6 ng THC und 6,9 ng Amphetamin pro ml Blut festgestellt worden waren.
Gegen das Urteil hat der Betroffene am 05.07.2011 Rechtsbeschwerde erhoben und diese nach Zustellung des mit Gründen versehenen Urteils an seine Verteidigerin am 05.08.2011 am 05.09.2011 mit der allgemeinen Sachrüge und der Verfahrensrüge der Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht begründet.
Mit Stellungnahme vom 06.10.2011 hat die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft auf die Rechtsbeschwerde beantragt, den Betroffenen freizusprechen.
II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 und 2 OWiG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden. Mit dem am 05.09.2011 eingegangenen Schriftsatz ist sie ferner fristgerecht und - jedenfalls mit der erhobenen Sachrüge - auch formgerecht begründet worden.
2. Die Rechtsbeschwerde führt schon auf die Sachrüge zum Erfolg, mit der Folge, dass es auf die ebenfalls erhobene Verfahrensrüge und deren Zulässigkeit nicht ankommt. Denn die im Urteil enthaltenen Feststellungen zur äußeren und inneren Tatseite tragen die Verurteilung wegen einer fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 und 3 StVG nicht.
a) § 24a Abs. 2 Satz 1 StVG verlangt das Führen eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr "unter der Wirkung" eines in der Anlage zu dieser Vorschrift aufgeführten berauschenden Mittels. Eine solche Wirkung ist nach § 24a Abs. 2 Satz 2 StVG gegeben, wenn eine der in der Anlage zu dieser Vorschrift aufgeführten Substanzen - im vorliegenden Fall THC und Amphetamin - im Blut nachgewiesen wird. Diese Regelung ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass bei Drogen - anders als bei Alkohol - keine hinreichend verlässliche Quantifizierung der Dosis-Wirkungs-Beziehung möglich ist. Die Norm bringt daher die gesetzgeberische Vorstellung zum Ausdruck, dass die Wirkungsdauer der einzelnen Mittel jeweils mit der Nachweisdauer ihrer berauschenden Substanzen überstimmt und deshalb die Annahme gerechtfertigt ist, dass ein Rauschmittel, solange dessen psychoaktive Substanz im Blut nachweisbar ist, auf den Führer eines Kraftfahrzeuges einwirkt und damit eine abstrakte Gefährdung des Straßenverkehrs gegeben ist (vgl. BVerfG NJW 2005, 349).
Diese gesetzgeberische Annahme der Identität von Wirkungs- und Nachweisdauer wird durch die technische Verbesserung der verwendeten Messverfahren zunehmend in Frage gestellt. Denn Spuren psychoaktiver Substanzen lassen sich nunmehr noch mehrere Tage oder sogar Wochen nach ihrer Einnahme im Blut nachweisen. Nach Ablauf derart langer Zeiträume erscheint aber eine anhaltende Fortwirkung der festgestellten Substanzen auf den Betroffenen zumindest fragwürdig. Mit Rücksicht darauf kann nicht mehr jeder Nachweis einer solchen Substanz im Blut eines Verkehrsteilnehmers für eine Verurteilung nach § 24a Abs. 2 StVG ausreichen. Vielmehr muss diese in einer Konzentration festgestellt werden, die entsprechend dem Charakter der Vorschrift als abstraktes Gefährdungsdelikt eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit zumindest als möglich erscheinen lässt. In dieser Weise ist der Tatbestand des § 24a Abs. 2 StVG verfassungskonform auszulegen (vgl. BVerfG, aaO.).
b) Zur Beantwortung der Frage, ob eine die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigende Drogenwirkung überhaupt noch möglich erscheint, orientiert sich der Senat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte daran, ob die für die jeweilige Substanz der von der sachverständigen Grenzwertkommission mit Beschluss vom 22.05.2007 (BA 2007, 311) empfohlenen sog. analytischen Grenzwerte - für THC 1 ng/ml und für Amphetamin 25 ng/ml - erreicht sind (vgl. Senatsbeschluss VRS 118, 298; OLG Bamberg DAR 2006, 286; OLG Karlsruhe VRS 112, 130; OLG Zweibrücken VRS 117, 20...